„Wenn Mutti früh zur Arbeit geht…“ – Die zwiespältige Freiheit von Frauen in der DDR

Das heutige Bild vom Leben als Frau in der DDR ist stark davon geprägt, dass es eine enorm hohe Beschäftigungsrate unter Frauen gab: Ende der 1980er Jahre waren 91% der Frauen in der Deutschen Demokratischen Republik berufstätig. Wohlwollend betrachtet kann diese Tatsache als Beweis für die vorherrschende Geschlechtergerechtigkeit ausgelegt werden, denn Berufstätigkeit galt als Recht der Frau, das ihr materielle Unabhängigkeit verschaffte. Währenddessen hieß es im Gesetz der BRD noch bis 1976: „Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.“ (§ 1356 BGB Absatz 1) 

Dass sich das emanzipierte Selbstbild der Frauen stark über ihre Identifikation mit der Vollzeit-Berufstätigkeit bildete, war jedoch nicht zuletzt Ergebnis einer ausgeprägten Propaganda in Fernsehen, Literatur und am Arbeitsplatz. Die Vereinbarkeit von Mutterrolle und Arbeitsplatz wurde zu einer Selbstverständlichkeit stilisiert, deren gesetzliche Rahmenbedingungen längst geschaffen worden seien. Tatsächlich schuf die DDR mit der Zeit eine fortschrittliche Sozialgesetzgebung in Bezug auf Ehe, Scheidungsrechte und später auch Abtreibungen. Trotzdem waren auch in der DDR Geschlechterrollen fest in das gesellschaftliche Denken zementiert.

Heldinnen der Arbeit

Obwohl auf vielen repräsentativen Bildern Frauen in Fabriken, mit Bauarbeiter*innenhelmen und kraftvoll zupackend inszeniert werden, findet auch in der DDR eine Geschlechtertrennung in der beruflichen Sphäre statt. Das Feld der Berufswahl ist für Mädchen beschränkt auf eine Handvoll Facharbeiter*innenberufe. Im Wesentlichen arbeiteten sie im Handel, im Bildungswesen und im Gesundheitssektor. Zwar gibt es einen höheren Anteil von Frauen in wirtschaftlichen Führungspositionen, aber sie hängen stark vom wirtschaftlichen Bereich ab und auch eine klare gläserne Decke ist erkennbar: Je mächtiger der Aufgabenbereich, desto mehr dünnt sich der Frauenanteil aus. 

Auch reproduktive Arbeit ist in der DDR eindeutig ungleich verteilt. So wird in Frauenzeitschriften zwar die klare Mitverantwortung des Mannes für Haushalt und Kindererziehung benannt, aber auch recht lapidar deren mangelnde Umsetzung konstatiert: „Sicher, den jungen Mann, der öffentlich die Ansicht vertritt, Hausarbeit sei ‚Weibersache‘, den muß man heutzutage bei uns schon suchen. (…) Die theoretische Einsicht, daß gleichberechtigte Partnerschaft auch heißt, gemeinsam für die Erziehung der Kinder und die Haushaltsführung Verantwortung zu tragen, sich die Pflichten gerecht zu teilen, damit man Zeit füreinander und jeder auch welche für sich hat – diese Einsicht ist bei unseren jungen Männern durchaus da. Doch mit der Praxis hapert’s eben noch.“ („Für dich“ 10/87, S.15).

Zum Ausgleich von dieser beruflichen und privaten „Doppelbelastung“ wird ab 1952 in Ostdeutschland ein monatlicher „Haushaltstag“ gewährt, der ausschließlich von Frauen genommen werden kann. Da diese Freiheit für verheiratete Männer nicht vorgesehen ist, scheint das Geschenk aus feministischer Perspektive eher zwiespältig. 

Bei alledem spielte auch die Mutterrolle für den Aufbau des Sozialismus eine enorme Rolle: Die Förderung der Geburtenzunahme ist ein erklärtes gesetzliches Ziel. Gleichzeitig ist es systemrelevant und auch politisch gewollt, Frauen in die Arbeitsprozesse zu integrieren. Um diesen Spagat zu ermöglichen, werden im Laufe des Bestehens der DDR wiederholt sozialpolitische Reformen durchgeführt. Daraus entsteht auch die durchgängig sehr gute Betreuungssituation für Kinder in der Krippe schon nach einem Lebensjahr. In Bezug auf Verhütung, Abtreibung oder Scheidung kann man die ostdeutsche Politik jedoch nur als Prozess sehen, in welchem sich die Narrative und Strategien mehrfach änderten. 

Dr. Sommer versus sozialistische Orgasmen

So auch in Bezug auf Schwangerschaftsverhütung und -beendigung. Die Pille zur Empfängnisverhütung kommt 1965 als „Wunschkindpille“ auf den Markt. Ein Begriff, der sich betont von der vier Jahre zuvor in Westdeutschland eingeführten Anti-Baby-Pille abgrenzen und den Aspekt der Familienplanung bestärken soll, in der nicht die Frage nach einem Kinderwunsch generell, sondern nach dem Zeitpunkt der Familiengründung im Mittelpunkt steht. Die Pille wird aber nicht einfach nur zugelassen, sondern als Element weiblicher Selbstverwirklichung und Gleichberechtigung aus dem SED-Politbüro gefeiert und ab 1972 kostenlos ausgegeben. Begleitet wird die Einführung sogar von einer staatlichen Aufklärungskampagne, die sexuelle Lust zu einem wichtigen Bestandteil des ‚Glücks im Sozialismus‘ erklärt. Währenddessen kämpft im Westen Dr. Sommer noch ein halbes Jahrzehnt später gegen die verbreitete Annahme, Masturbation mache krank. 

Mit der Gesetzgebung zur Abtreibung hingegen gibt man sich zunächst weniger locker. Im ostdeutschen „Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau“ von 1950 werden für eine Abtreibung zunächst strenge Bedingungen zugrunde gelegt, unter anderem eine gesundheitliche Indikation für den Eingriff sowie der Gang vor eine Kommission, die „sich aus Ärzten, Vertretern der Organe des Gesundheitswesens und des Demokratischen Frauenbundes“ (§11, Absatz 3) zusammensetzt. Die BRD übernahm indes den §218 aus der Nazizeit, welcher Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich verbietet und hat ihn auch  nicht abgeschafft hat. Stattdessen gewährleistet der Paragraph bis heute lediglich Straffreiheit unter bestimmten Bedingungen. 

Anfang der 1970er Jahre protestierte die Frauenbewegung im Stern mit der „Wir haben abgetrieben“-Kampagne gegen das Abtreibungsverbot. Die Zahl der Todesfälle aufgrund von missglückten illegalen Abtreibungen ist auch in der DDR alarmierend. Die Volkskammer beschließt schließlich 1972 eine Gesetzesänderung hin zur Fristenlösung, die nicht wie üblicherweise einstimmig, sondern mit einigen Gegenstimmen verabschiedet wird. Im selben Rutsch werden Verhütungsmittel kostenfrei, vielleicht ein profeministischer Akt, vielleicht aber auch ein Hinweis darauf, dass das neue Abtreibungsgesetz nur zähneknirschend durchgesetzt wurde. Eine kontroverse öffentliche Debatte über Schwangerschaftsabbrüche gibt es jedoch nur in Westdeutschland, in der DDR läuft all das eher unter dem Radar. 

Zur Ehe animiert, zur Arbeit angeregt und am Ende abgekindert

Aus feministischer Sicht besonders spannend ist auch der Bereich Ehe- und Scheidungsrecht der Deutschen Demokratischen Republik, da er darauf ausgelegt ist, Frauen nicht ökonomisch abhängig von ihren Ehepartnern zu machen. Um pronatalistische, also geburtenfördernde, Bedingungen zu schaffen, sollen junge Paar zu einer frühen Eheschließung animiert werden. Sie erhalten zur Hochzeit beispielsweise einen großzügigen staatlichen Ehekredit für die Wohnungseinrichtung, der „abgekindert“ werden kann: Die Rückzahlungssumme reduziert sich mit jedem Kind. Dass aber jungen Menschen der Schritt zur Ehe leichter fällt, wenn er auch unkompliziert wieder rückgängig gemacht werden kann, fließt ebenfalls in die politische Planung mit ein. Ehescheidungen sind daher unkompliziert und nicht teuer. Frauen steht nur in den seltensten Fällen ein Unterhalt zu, sie sollen selbst zur Erwerbsarbeit „angeregt“ werden, obwohl meist ihnen das Sorgerecht für die in der Ehe entstandenen Kinder zugesprochen wird. Trotzdem wird der Großteil der Scheidungsanträge von Frauen gestellt. Dies ändert sich lediglich vorübergehend, als am 3. Oktober 1990 die Angleichung an die Rechtslage der BRD winkt. Da dort geschiedene Frauen mit Kindern meist eine unbefristete Unterhaltszahlung beanspruchen können, warten viele Mütter mit ihrem Scheidungsantrag, der sie unter Westbedingungen finanziell besser absichert. 

Das Leben von Frauen in der DDR war von den Themen Berufstätigkeit und Mutterrolle also stark geprägt. Dass das Politbüro der SED die vollständige Verwirklichung der Geschlechtergerechtigkeit proklamierte, wirkte sich dabei mal mehr, mal weniger positiv auf ihre Lebensumstände aus. Den Frauen der Nachwendezeit hätte es an vielen Stellen also sicherlich genützt, wenn die Frauenpolitik von Ost und West nach 1989 vereint worden wäre, statt die BRD-Gesetzgebung dem Rest des Landes überzustülpen. 

Jana Herrmann, BZ Westliches Westfalen und Bundesvorsitzende

Wenn Mutti früh zur Arbeit geht,
Dann bleibe ich zu Haus.
Ich binde eine Schürze um
Und feg die Stube aus.

Das Essen kochen kann ich nicht,
Dafür bin ich zu klein.
Doch Staub hab ich schon oft gewischt.
Wie wird sich Mutti freu’n!

Ich habe auch ein Puppenkind,
Das ist so lieb und fein.
Für dieses kann ich ganz allein
Die richt’ge Mutti sein.

(Kurt Schwaen, 1951)