“Wir fordern die Vergesellschaftung von Wohnraum”

“Wir fordern die Vergesellschaftung von Wohnraum”

In Berlin hat sich die Initiative “Deutsche Wohnen und Co. enteignen” gegründet. Über ihre Ziele und Ideen haben wir für die aj mit ihnen gesprochen.

Warum und wie habt ihr angefangen, als Initiative aktiv zu werden?

Nachdem sich die bisherigen Maßnahmen der Politik wie die Mietpreisbremse als weitestgehend wirkungslos erwiesen haben, haben wir uns zusammengeschlossen und die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ gestartet. Wir, das sind Aktive des Mietenvolksentscheids Berlin 2015, der “Deutsche Wohnen”- oder “Akelius”-Mieter*innenvernetzung, Kotti & Co, der Interventionistischen Linken, Mitglieder verschiedener Parteien, verschiedene kleinere Initiativen und engagierte Einzelpersonen.

In den Kämpfen einzelner Mieter*inneninitiativen der letzten Jahre hat sich immer wieder gezeigt, dass letztendlich nur gegen die Profitlogik von Immobilienkonzernen anzukommen ist, wenn die Häuser und Wohnungen dem freien Markt entzogen werden. Das kann durch den Rückkauf durch die Stadt Berlin passieren, ist für uns aber nicht ausreichend. Wir fordern die Vergesellschaftung, damit wir über die Zukunft unserer Stadt mitbestimmen können.

Warum wollt ihr große Immobilienkonzerne enteignen?

Für uns ist der wichtigste Grund, warum Mietpreise immer weiter steigen und Bestandsmieter*innen verdrängt werden, die Spekulation mit Wohnraum. Das heißt, dass große Immobilienkonzerne immer steigende Profite machen müssen, um Renditen an Investoren ausschütten zu können. Diese Profitlogik trifft am Ende uns Mieter*innen, da wir die immer weiter steigenden Mieten bezahlen müssen.

Wir fordern die Enteignung und Vergesellschaftung von Wohnraum, weil auf diese Weise nachhaltig Wohnraum dem spekulativen Markt entzogen werden kann. Wenn die Stadt die Häuser und Wohnungen einfach kauft, bezahlt sie die überhöhten Marktpreise und Immobilienkonzerne werden noch für ihren Umgang mit der Lebensgrundlage vieler Menschen belohnt. Außerdem kann die Überführung in eine Anstalt öffentlichen Rechts unter demokratischer Mitbestimmung davor schützen, dass Wohnraum erneut privatisiert wird.

Was soll mit dem enteigneten Wohnraum passieren? Wie stellt ihr euch eine Verwaltung dieses Wohnraums vor, wenn ihr schreibt dies soll „unter mehrheitlich demokratischer Beteiligung von Stadtgesellschaft und Mieter*innen“ geschehen?

Die vergesellschafteten Wohnungen sollen in eine neu gegründete Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) überführt werden, also nicht einfach den landeseigenen Wohnungsunternehmen zugeführt werden. Diese AöR soll unter demokratischer Verwaltung stehen. Dafür sollen Mieter*innen, Beschäftigte der AöR, Vertreter*innen der Politik und der Stadtgesellschaft in einen Verwaltungsrat gewählt werden. Außerdem sollen Mieter*innen auf lokaler Ebene die Möglichkeit haben entweder in Selbstverwaltung, oder durch gewählte Vertreter*innen über die Entwicklung ihrer Siedlungen zu bestimmen. Vorhaben wie z.B. Modernisierungen sollen dann von beiden Ebenen gemeinsam geplant werden.

Denkt ihr, dass eure Forderungen auf andere Städte übertragbar sind?

Grundsätzlich sollte die Vergesellschaftung überall möglich sein, Art. 15 GG gilt in der gesamten BRD. Inwiefern andere Städte ihn anwenden können, hängt vom politischen Willen und der spezifischen Situation vor Ort ab. In der Berliner Landesverfassung ist das Recht auf Wohnen festgehalten, deshalb soll hier eine Kombination von Art. 15 GG und der Berliner Verfassung angewandt werden. 

Habt ihr Ideen, wie über die Enteignung hinaus ausreichend bezahlbarer Wohnraum entsprechend der aktuellen Bedarfslage geschaffen werden kann?

Die Enteignung hätte einen dämpfenden Effekt auf das gesamte Wohnungsangebot, wenn deutlich gemacht wird, dass sich Spekulation mit Wohnungen nicht lohnt und Investoren ihre Renditen nicht mehr am Wohnungsmarkt erwirtschaften können. Der Erhalt von bezahlbarem Wohnraum ist ein wichtiger Bestandteil bei der Schaffung eines ausreichenden Angebots entsprechend der aktuellen Bedarfslage.

Darüber hinaus kann der Staat bei einer Enteignung Geld in sozial verträglichen Neubau stecken, da die Kosten viel niedriger sind als beim Rückkauf von Wohnungen die früher in staatlichem Besitz waren.

Welche Menschen erreicht ihr mit eurer Arbeit? Würdet ihr sagen, dass es Menschen gibt, die ihr noch zu wenig erreicht?

Von Mietenwahnsinn sind die unterschiedlichsten Menschen betroffen, daher interessieren sich auch sehr unterschiedliche Menschen für unser Projekt. Das zeigt sich sowohl bei den Aktiven in der Initiative als auch unter den Unterstützer*innen. 

In der nächsten Phase des Volksbegehrens müssen wir unsere Präsenz in den Berliner Außenbezirken noch ausweiten, das haben wir bisher leider nicht so gut abgedeckt. Dort gibt es bspw. große Siedlungen der Deutsche Wohnen mit bekannten Problemen wie ständig kaputten Heizungen usw. Die Mieter*innen dort sind potentielle Unterstützer*innen und müssen stärker von uns adressiert werden.

Gibt es einen Punkt, an dem ihr sagen würdet, „alles klar, unsere Ziele sind erreicht“?

Wenn Deutsche Wohnen & Co vergesellschaftet sind.

Das Interview wurde von Steffen Göths für die aj-Redaktion geführt. 

Nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe wurde durch den Berliner Senat der sogenannte “Mietendeckel” beschlossen, der Mieterhöhungen mit wenigen Ausnahmen für fünf Jahre untersagt. Die grundsätzlichen Probleme werden dadurch jedoch nicht behoben.

Anmerkung der Redaktion:

Enteignungen werden im Interview anstelle des Kaufs der Häuser gefordert, damit die Stadt nicht die “überhöhten Marktpreise” für die Häuser bezahlen muss. “Überhöht” können die Preise aber nur in einem moralischen Sinne sein, da es keinen “wahren” Preis außer dem Marktpreis gibt. Es grenzt an linken Populismus, dem Markt zu unterstellen, er wäre “eigentlich” dafür da, die menschlichen Bedürfnisse zu stillen und dann zu kritisieren, dass er “versagt”. Deswegen ist aus unserer Sicht bei solchen und ähnlichen Formulierungen Vorsicht angebracht. Mehr zur Kritik der moralischen Argumentation findet ihr im Artikel von Christoph.