Dicht, dichter, Innenverdichtung – Gespenst der modernen Stadt?

Beispiel für Innenverdichtung /// Foto Tilman Büttner

Wohnungsmangel, Gentrifizierung oder Flächenverbrauch sind Schlagworte, welche in den letzten Jahren aus dem Sprachgebrauch einer kleineren Community der Siedlungsgeographie und Stadtentwicklung in öffentliche Diskussionen schwappten. Die gängige Antwort vieler Kommunen auf Fragen einer zukunftsfähigen Stadt lautet hierfür: Innen- bzw. Nachverdichtung. Diese Maßnahme beschreibt die Nachbebauung einer bestehenden Infrastruktur und Bausubstanz, sodass die Dichte des vorhandenen Wohnraums steigt.

Soweit so gut – bestehende Kapazitäten ausnutzen klingt zunächst sinnvoll. Warum sollte man neue Siedlungsflächen am Stadtrand erschließen, wenn zentrumsnah Hinterhöfe für einen neuen Wohnblock genutzt werden können? Wer möchte nicht in den angesagten Vierteln wohnen? Schlafplatz und Szenekneipe nah beieinander, da freut sich doch nicht nur der ökologische Fußabdruck über kurze Wege.

Innenverdichtung kann als Maßnahme angesehen werden, seit Kommunen sich mit Plänen der Innenentwicklung Gedanken machen, wie eine Siedlung den aktuellen und zukünftigen Ansprüchen angepasst werden kann. Ihren zweckmäßigen Ursprung könnte man bis zum Beginn der Industrialisierung zurückführen. Proletarier*innen und Landwirtschaft Betreibende wanderten vom Land in die Städte ab, zusammen mit dem Bevölkerungswachstum entstand eine massive Wohnungsnot. Daher wurden Städte erweitert und in Wohnblockbebauung aus dem Boden gestampft, welche als Mietskasernen und Blockrandbebauung bis heute noch erkennbar sind. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden Wohnsiedlungen in Verbindung mit einem steigenden Sozialstandard teilweise geöffnet und Bebauung aufgelockert, ein Zusammenpferchen der eigenen Bevölkerung in Massenquartieren entsprach nicht der herrschenden Ideologie. Der ›Heimatschutzstil‹ kann mit einer Verbindung zur Natur gesehen werden: mehr Grün, mehr Platz, auch für die deutsche Stadtbevölkerung. Seit den 1960er Jahren führte in der Bundesrepublik die Idee der ›autogerechten Stadt‹ und der ›Urbanität durch Dichte‹ im Zuge des Wiederaufbaus zu neuen Blocksiedlungen auf beengtem Raum. Und auch heute wird aufgrund der wachsenden Umsiedlung in die Städte vermehrt auf Maßnahmen der Innenverdichtung zurückgegriffen. Wo letztes Jahr noch Garagenbauten im Innenhof standen, erheben sich heute zwei neue Wohnblöcke, so nah, dass man sich vom Balkon aus scheinbar die Hand reichen könnte. Ein Zusammenrücken der Gesellschaft der anderen Art.

Gründe für eine Verdichtung der Räume sind seit jeher ähnlich. Die Bevölkerung strömt für Ausbildung und Leben in die Städte, während der ländliche Raum abgehängt wird. Hier grassiert wachsender Leerstand, dort sucht man verzweifelt eine bezahlbare Bleibe. Kommunen nutzen ihren bestehenden Platz daher effektiv aus und Infrastruktur muss nicht neu auf der grünen Wiese etabliert werden. Und seien wir ehrlich zu uns selber: in einem gewachsenen Quartier erscheint die Wohnqualität doch wesentlich höher als im Neubaugebiet.

Also alles doch nicht ganz so schlimm? Natürlich bietet die Nachverdichtung Vorteile, doch birgt sie auch Potential für eine qualitative Verschlechterung milieugemischter und sozialverträglicher Wohnquartiere. Innenverdichtung bedeutet zwar den Schutz unversiegelter Flächen am Stadtrand und in der Peripherie, gleichzeitig aber auch die steigende Versiegelung der Stadtzentren. Damit gehen nicht nur Grünflächen für die zentrale Naherholung und Kultur verloren: Flächenversiegelung führt auch zu verringerten Sickerflächen für Niederschläge bei gleichzeitiger Erhöhung der Wärmespeicherung durch Beton. Den Wandel des Mikroklimas kann man jetzt schon direkt vor der Haustür als ›urban heat island‹ beobachten. 

Neubau führt zudem nicht zwangsläufig zu bezahlbarem Wohnraum. So schön das Wort Mietpreisbremse auch klingt, greift sie doch nicht bei Neubauten und Modernisierungen, also genau den Unterkünften, die durch Innenverdichtung geschaffen werden. Stattdessen fördert sie einen soziokulturellen Wandel. Ein Gespenst geht um im Quartier – das Gespenst der Gentrifizierung. Ohnehin schon benachteiligte soziale Milieus werden u.a. durch Innenverdichtung aus den Stadtzentren verdrängt. 

Innenverdichtung darf damit nicht blauäugig als positive Entwicklung gesehen werden. Im Sinne Lefebvres ›Recht auf Stadt‹ besteht die Gefahr urbane Qualität durch Verdichtungsprozesse zu verlieren. Wohnraum in einem lebenswerten Quartier darf nicht zum Luxusobjekt gutsituierter Bürger*innen werden. Der blinde neoliberale Fortschrittsglaube könnte über eine ausufernde Innenverdichtung eher zu einer ökologisch destruktiven Siedlungsentwicklung führen, Verdrängungsprozesse anheizen oder durch Nachverdichtung prekäre Verhältnisse modernen Stils, komplementär zu den Arbeiter*innensiedlungen der Jahrhundertwende erzeugen. Wer lässt sich bei seinem Frühstück schon gerne von den Nachbar*innen auf den Esstisch schauen? Deshalb müssen sich mündige Bürger*innen der siedlungspolitischen Errungenschaften des letzten Jahrhunderts bewusst werden und kommunale Innenentwicklung kritisch verfolgen, um Platz für Kultur, sozialen Zusammenhalt und bezahlbaren Wohnraum für jede*n zu bewahren.

Tilman Büttner