Auszug George Orwell – Mein Katalonien

Fünftes Kapitel

Östlich von Huesca ereignete sich bis spät in den März hinein nichts – fast buchstäblich nichts. Wir lagen zwölfhundert Meter weit vom Gegner entfernt. Als die Faschisten nach Huesca zurückgetrieben wurden, hatten sich die Truppen der republikanischen Armee, die diesen Frontabschnitt hielten, bei ihrem Vormarsch nicht übereifrig gezeigt, und so formte sich die Front hier wie eine Tasche. Später musste sie vorverlegt werden – sicher unter Beschuss eine heikle Sache -, aber augenblicklich hätte der Feind ebenso gut gar nicht vorhanden sein können. Unsere einzige Beschäftigung bestand darin, uns warm zu halten und genug zu essen zu bekommen. Tatsächlich gab es einiges, was mich während dieser Zeit interessierte, und ich werde später davon berichten. Aber ich halte mich wohl enger an den Ablauf der Ereignisse, wenn ich hier zunächst versuche, eine Darstellung der innenpolitischen Situation auf der Regierungsseite zu geben.

Anfangs hatte ich mich wenig um die politische Seite des Krieges gekümmert, aber ungefähr um diese Zeit begann ich meine Aufmerksamkeit auch darauf zu richten. Wer nicht an den Wirrnissen der Parteipolitik interessiert ist, überschlägt am besten die nächsten Seiten. Aus diesem Grund bemühe ich mich auch, die politische Seite dieser Erzählung in getrennten Kapiteln zu halten. Es wäre darüber hinaus ganz unmöglich, nur unter rein militärischen Gesichtspunkten über den Spanischen Krieg zu schreiben. Es war nämlich vor allen Dingen ein politischer Krieg. Kein Ereignis, besonders aus den ersten Jahren, ist verständlich ohne eine gewisse Kenntnis von dem Kampf zwischen den Parteien, der sich hinter der Frontlinie der Regierungsseite abspielte. Als ich nach Spanien kam, und auch einige Zeit später, interessierte ich mich nicht nur nicht für die politische Situation, sondern sie kam mir nicht einmal zum Bewusstsein. Ich wusste, dass es Krieg gab, aber ich hatte keine Ahnung, was für eine Art von Krieg das war. Wenn man mich gefragt hätte, warum ich mich der Miliz angeschlossen hatte, so würde ich geantwortet haben: »Um gegen den Faschismus zu kämpfen.« Wenn man mich gefragt hätte, wofür ich kämpfte, würde ich geantwortet haben: »Für allgemeine Anständigkeit.« Ich hatte mich mit der Version von News Chronicle – New Statesman abgefunden, die diesen Krieg als die Verteidigung der Zivilisation gegen den verrückten Aufstand einer Armee von reaktionären Obristen vom Typ des Colonel Blimp (Anm.: Karikaturgestalt von David Low als Sinnbild des reaktionären Engländers.) im Solde Hitlers schilderten. Die revolutionäre Atmosphäre von Barcelona hatte mich sehr stark gefesselt, aber ich hatte keinen Versuch gemacht, sie zu verstehen.

Das Kaleidoskop der politischen Parteien und Gewerkschaften mit ihren langweiligen Namen — P.S.U.C, P.O.U.M., F.A.I., C.N.T., U.G.T., J.C.I., J.S.U., A.I.T. – brachte mich nur in Verzweiflung. Auf den ersten Blick sah es so aus, als leide ganz Spanien an einer Abkürzungspest. Ich wusste, dass die Gruppe, in der ich diente, P.O.U.M. hieß (ich hatte mich der P.O.U.M.-Miliz und keiner anderen nur deshalb angeschlossen, weil ich in Barcelona zufällig mit I.L.P.-Papieren ankam). Aber ich hatte keine Ahnung, dass es zwischen den politischen Parteien ernstliche Unterschiede gab. Wenn jemand bei Monte Pocero auf die Stellung zu unserer Linken zeigte und sagte: »Das sind die Sozialisten« (also die P.S.U.C), war ich verwirrt und sagte: »Sind wir nicht alle Sozialisten?« Ich fand es idiotisch, dass Leute, die um ihr Leben kämpften, verschiedenen Parteien angehören sollten. Meine Einstellung lautete immer: »Warum können wir nicht all diesen politischen Unsinn fallenlassen und einfach mit dem Krieg weitermachen?« Das war natürlich die richtige >antifaschistische< Haltung, die von den englischen Zeitungen sehr sorgfältig verbreitet wurde, hauptsächlich um die Leute davon abzuhalten, die wahre Natur des Kampfes zu begreifen. In Spanien jedoch, besonders in Katalonien, konnte niemand diese Ansicht lange aufrechterhalten. Jeder auch noch so Uneinsichtige musste früher oder später Partei ergreifen. Selbst wenn man für die politischen Parteien und ihre sich befehdenden Ansichten nichts übrig hatte, konnte man nicht übersehen, wie eng das eigene Schicksal damit verknüpft war. Als Milizsoldat war man ein Soldat gegen Franco, aber man war auch eine Schachfigur in dem riesigen Kampf, der zwischen zwei politischen Theorien ausgefochten wurde. Wenn ich am Berghang verzweifelt nach Brennholz suchte und mich wunderte, ob das wirklich Krieg war oder ob die News Chronicle ihn nur erfunden hätte, als ich mich vor dem Feuer der kommunistischen Maschinengewehre während des Aufruhrs in Barcelona duckte und als ich schließlich mit der Polizei auf meinen Fersen aus Spanien floh – geschah das, weil ich in der P.O.U.M.-Miliz diente und nicht in der P.S.U.C. So groß ist der Unterschied zwischen zwei Abkürzungen!

Um die verschiedenen Auffassungen auf der Regierungsseite zu verstehen, muss man sich daran erinnern, wie der Krieg ausbrach. Als die Kämpfe am 18. Juli begannen, spürte wahrscheinlich jeder Antifaschist in Europa eine erregende Hoffnung, denn hier stand anscheinend endlich die Demokratie gegen den Faschismus auf. Während der letzten Jahre hatten sich die demokratischen Staaten Schritt für Schritt dem Faschismus unterworfen. Man hatte den Japanern erlaubt, in der Mandschurei zu tun, was sie wollten. Hitler war zur Macht gekommen und fuhr fort, die politischen Gegner aller Schattierungen zu massakrieren. Mussolini hatte die Abessinier bombardiert, während dreiundfünfzig Nationen (ich glaube, es waren dreiundfünfzig) abseits standen und fromme Sprüche von sich gaben. Aber als Franco versuchte, eine gemäßigt links orientierte Regierung zu stürzen, lehnten sich entgegen allen Erwartungen die spanischen Menschen gegen ihn auf. Es schien – vielleicht war es sogar – die Wende der Flut.

Aber es gab gewisse Einzelheiten, die sich der allgemeinen Aufmerksamkeit entzogen. Zunächst einmal konnte man Franco strenggenommen nicht mit Hitler oder Mussolini vergleichen. Sein Aufstieg war eine militärische Meuterei, die von der Aristokratie und der Kirche unterstützt wurde, und vor allem war es besonders am Anfang weniger ein Versuch, den Faschismus durchzusetzen, als den Feudalismus wiederherzustellen. Das bedeutete, dass sich nicht nur die Arbeiterklasse, sondern auch verschiedene Kreise der liberalen Bourgeoisie gegen Franco stellten – gerade jene Leute, die den Faschismus in seiner moderneren Form sonst unterstützen. Noch wichtiger war, dass die spanische Arbeiterklasse Franco nicht, wie es vielleicht denkbar gewesen wäre, im Namen der Demokratie und des Status quo widerstand. Ihr Widerstand wurde begleitet, oder man könnte fast sagen, er nährte sich eigentlich aus einem kompromisslosen revolutionären Aufbegehren. Die Bauern bemächtigten sich des Grund und Bodens, viele Fabriken und der größte Teil des Transportsystems wurden von den Gewerkschaften übernommen, Kirchen wurden zerstört und die Priester weggetrieben oder getötet. Unter dem Beifall des katholischen Klerus konnte die Daily Mail Franco als einen Patrioten darstellen, der sein Land von einer Horde teuflischer »Roter« befreite.

Während der ersten Kriegsmonate waren Francos wirkliche Gegner weniger die Regierung als die Gewerkschaften. Sobald die Revolution ausbrach, antworteten die organisierten Arbeiter in den Städten mit der Ausrufung des Generalstreiks und verlangten dann Waffen aus den öffentlichen Arsenalen, die sie nach einigen Kämpfen auch erhielten. Falls sie nicht spontan und mehr oder weniger unabhängig gehandelt hätten, wäre es gut denkbar, dass niemand Franco widerstanden hätte. Natürlich gibt es darüber keine Gewissheit, aber es gibt zumindest Gründe, es anzunehmen. Die Regierung hatte wenig oder gar keine Versuche unternommen, dem Aufruhr zuvorzukommen, den man so lange Zeit vorausgesehen hatte. Als die Schwierigkeiten begannen, war ihre Haltung schwach und zögernd; ja so schwach, dass es in Spanien an einem Tag drei Premierminister gab (Anm.: Quiroga, Barrios und Giral. Die beiden ersten weigerten sich, Waffen an die Gewerkschaften zu verteilen.). Außerdem wurde die Bewaffnung der Arbeiter, vermutlich der einzige Schritt, die unmittelbare Situation zu retten, nur unwillig und als Antwort auf den ungestümen Tumult des Volkes vollzogen. Aber schließlich wurden die Waffen doch verteilt. In den großen Städten Ostspaniens wurden die Faschisten durch eine gewaltige Anstrengung zurückgeschlagen, vor allem durch die Arbeiterklasse, die von einigen bewaffneten Truppen (der Guardia de Asalto und so weiter) unterstützt wurden, die der Regierung treu geblieben waren. Es war eine Anstrengung, deren wahrscheinlich nur Menschen fähig sind, die mit einer revolutionären Absicht kämpfen, das heißt, die daran glauben, für etwas Besseres zu kämpfen als für den Status quo. Es wird angenommen, dass in den verschiedenen Zentren der Revolution an einem Tag dreitausend Menschen in den Straßen umkamen. Männer und Frauen rannten, nur mit Dynamitstäben bewaffnet, über offene Plätze und stürmten Gebäude, die von geübten Soldaten mit Maschinengewehren verteidigt wurden. Maschinengewehrnester, die die Faschisten an strategischen Stellen aufgestellt hatten, wurden zerstört, indem Taxis mit einer Geschwindigkeit von hundert Kilometern auf sie zurasten. Selbst wenn man nichts von der Landergreifung durch die Bauern gehört hatte, von der Einrichtung örtlicher Sowjets und so weiter, konnte man kaum glauben, dass die Anarchisten und Sozialisten, die das Rückgrat des Widerstandes waren, so etwas taten, um die kapitalistische Demokratie zu erhalten. Besonders nach Ansicht der Anarchisten war die Demokratie ja nichts weiter als eine zentralisierte Lügenmaschine. Inzwischen hatten die Arbeiter Waffen in Händen und weigerten sich, sie zu diesem Zeitpunkt wieder abzugeben. (Selbst ein Jahr später wurde überschlägig festgestellt, dass die anarchistischen Syndikalisten in Katalonien dreißigtausend Gewehre besaßen.) Die Güter der großen profaschistischen Landbesitzer wurden vielerorts von den Bauern erobert. Zusammen mit der Kollektivierung der Industrie und des Transportwesens machte man den Versuch, die ersten Anfänge einer Arbeiterregierung zu bilden. Es wurden örtlich Ausschüsse eingesetzt, Arbeiterpatrouillen sollten die alte prokapitalistische Polizeimacht ersetzen, die Arbeitermiliz baute auf den Gewerkschaften auf und so weiter. Natürlich war dieser Prozess nicht einheitlich und machte in Katalonien größere Fortschritte als anderswo. Es gab Gegenden, wo die Institutionen der örtlichen Regierungsgewalt fast unberührt blieben, und andere, wo sie Seite an Seite mit den Revolutionskomitees existierten. An einigen Orten wurden unabhängige, anarchistische Kommunen errichtet; einige bestanden ein Jahr lang, bis sie mit Gewalt durch die Zentralregierung unterdrückt wurden. In Katalonien lag die tatsächliche Gewalt während der ersten Monate in den Händen der anarchistischen Syndikalisten, die die meisten Schlüsselindustrien kontrollierten. Was sich in Spanien ereignet hatte, war tatsächlich nicht nur ein Bürgerkrieg, sondern der Beginn einer Revolution. Die antifaschistische Presse außerhalb Spaniens hat sich besonders bemüht, diese Tatsache zu verschleiern. Die Streitfrage wurde auf die Formel »Faschismus gegen Demokratie« zusammengedrängt und der revolutionäre Aspekt so gut wie möglich verborgen. In England, wo die Presse zentralisierter ist und die Öffentlichkeit leichter als sonst wo betrogen werden kann, erhielten nur zwei Versionen des Spanischen Krieges irgendeine nennenswerte Publizität: die Version der Rechtsgerichteten, wonach christliche Patrioten gegen bluttriefende Bolschewisten kämpften, und die Version der Linksgerichteten, wonach republikanische Gentlemen eine militärische Revolte unterdrückten. Der Hauptstreitpunkt wurde mit Erfolg verschwiegen.

Dafür gab es verschiedene Gründe. Zunächst einmal wurden von der profaschistischen Presse erschreckende Lügen über Gräueltaten verbreitet, und wohlmeinende Propagandisten dachten ohne Zweifel, dass sie der spanischen Regierung halfen, wenn sie verschleierten, dass Spanien >rot geworden< war. Aber der Hauptgrund war folgender: Außer kleinen revolutionären Gruppen, die in allen Ländern existieren, war die ganze Welt entschlossen, eine Revolution in Spanien zu verhüten. Besonders die kommunistische Partei, mit der Sowjetunion im Rücken, hatte ihr ganzes Gewicht gegen die Revolution geworfen. Die kommunistische These lautete, eine Revolution zu diesem Zeitpunkt sei lebensgefährlich, und man dürfe nicht darauf hinwirken, in Spanien eine Kontrolle durch die Arbeiterschaft zu verwirklichen, sondern eine Bourgeoisdemokratie. Es braucht kaum erklärt zu werden, warum die Meinung der >liberalen< Kapitalisten in die gleiche Richtung zielte. Fremdes Kapital war in Spanien sehr stark investiert. So waren zum Beispiel in der Straßenbahngesellschaft Barcelona zehn Millionen britisches Kapital, inzwischen aber hatten die Gewerkschaften in Katalonien das ganze Transportwesen übernommen. Falls die Revolution fortschritt, würde es entweder gar keine Kompensation oder nur sehr wenig geben. Ging aber die kapitalistische Republik siegreich aus dem Kampf hervor, wären die ausländischen Investitionen sicher gewesen. Da die Revolution jedenfalls zertrümmert werden musste, vereinfachte es alles sehr, wenn man vorgab, dass keine Revolution stattgefunden habe. Auf diese Weise konnte die wirkliche Bedeutung jedes Ereignisses verschwiegen werden. Jeder Wechsel in der Macht von den Gewerkschaften zur Zentralregierung ließ sich als ein notwendiger Schritt zur militärischen Reorganisation darstellen. Die so geschaffene Situation war äußerst seltsam. Außerhalb Spaniens erkannten nur wenige Leute, dass es eine Revolution gab; im Inneren Spaniens zweifelte niemand daran. Selbst die Zeitungen der P.S.U.C., kontrolliert von den Kommunisten und mehr oder weniger einer antirevolutionären Politik verschrieben, sprachen über »unsere glorreiche Revolution«. Währenddessen schrieb die kommunistische Presse im Ausland, dass es nirgendwo auch nur ein Zeichen von Revolution gäbe. Die Übernahme der Fabriken, die Einsetzung von Arbeiterräten und so weiter war nicht geschehen oder war nach einer anderen Lesart geschehen, hatte aber »keine politische Bedeutung«. Nach dem Daily Worker (6. August 1936) waren diejenigen, die sagten, dass das spanische Volk für eine soziale Revolution oder irgend etwas anderes als die Bourgeoisdemokratie kämpfe, »ausgesprochen lügnerische Schufte«. Andererseits erklärte Juan Lopez, ein Mitglied der Regierung von Valencia, im Februar 1937, »das spanische Volk vergießt sein Blut nicht für die demokratische Republik und seine Verfassung auf dem Papier, sondern für… eine Revolution«. So mochte es den Anschein haben, dass die ausgesprochen lügnerischen Schufte sogar Mitglieder der Regierung waren, für die zu kämpfen man uns aufgefordert hatte. Einige der ausländischen antifaschistischen Zeitungen ließen sich sogar zu der erbarmungswürdigen Lüge herab, dass Kirchen nur dann angegriffen wurden, wenn sie als faschistische Befestigungen dienten. Tatsächlich wurden die Kirchen überall geplündert, und zwar in einer selbstverständlichen Weise, da man sehr genau verstand, dass die spanische Kirche ein Teil des kapitalistischen Theaters war. Im Verlauf von sechs Monaten sah ich in Spanien nur zwei unzerstörte Kirchen. Bis zum Juli 1937 erlaubte man nicht, dass eine Kirche geöffnet und Gottesdienste abgehalten wurden, außer ein oder zwei protestantischen Kirchen in Madrid.

Aber im Grunde genommen war es nur der Beginn einer Revolution und nicht deren Vollendung. Selbst wenn die Arbeiter, sicherlich in Katalonien und möglicherweise auch sonst wo, die Macht gehabt hätten, so etwas zu tun, stürzten oder verdrängten sie die Regierung nicht. Offensichtlich konnten sie es nicht tun, solange Franco gegen das Tor hämmerte und Teile des Mittelstandes auf seiner Seite waren. Das Land befand sich in einem Stadium des Übergangs, und es war möglich, dass es sich entweder in der Richtung des Sozialismus entwickelte oder aber zu einer normalen kapitalistischen Republik zurückkehrte. Die Bauern hatten jetzt das meiste Land, und sie würden es wahrscheinlich behalten, es sei denn, Franco erränge den Sieg. Alle großen Industrien waren kollektiviert worden. Ob sie aber kollektiviert blieben oder ob der Kapitalismus wieder eingeführt würde, hing schließlich davon ab, welche Gruppe die Kontrolle gewinnen würde. Für den Anfang konnte man sicher sagen, dass sowohl die Zentralregierung als auch die Generalidad de Catalufia (die halbautonome katalanische Landesregierung) die Arbeiterklasse repräsentierten. An der Spitze der Regierung stand Caballero, ein Sozialist des linken Flügels, die Minister waren Vertreter der U.G.T. (Sozialistische Gewerkschaften) und der C.N.T. (Syndikalistische Gewerkschaften, die von den Anarchisten kontrolliert wurden). Eine Zeitlang wurde die katalanische Generalidad praktisch von einem antifaschistischen Verteidigungskomitee ersetzt (Anm.: Comité Central de Milicias Antifascistas. Die Delegierten wurden im Verhältnis zur Mitgliedschaft ihrer Organisationen gewählt. Neun Delegierte vertraten die Gewerkschaften, drei die katalanische liberale Partei und zwei die verschiedenen marxistischen Parteien (P.O.U.M., Kommunisten und andere).), das hauptsächlich aus Delegierten der Gewerkschaften bestand. Später wurde das Verteidigungskomitee aufgelöst und die Generalidad neu gebildet, um die Gewerkschaften und die verschiedenen linksgerichteten Parteien zu vertreten. Aber jede der folgenden Umbildungen brachte die Regierung weiter nach rechts. Zunächst wurde die P.O.U.M. von der Generalidad ausgestoßen. Sechs Monate später wurde Caballero durch den rechtsgerichteten Sozialisten Negrin ersetzt. Kurze Zeit später wurde die C.N.T. aus der Zentralregierung ausgeschlossen, dann die U.G.T. Danach wurde die C.N.T. aus der Generalidad entfernt, und ein Jahr nach Ausbruch des Krieges und der Revolution gab es schließlich eine Regierung, die vollständig von rechtsgerichteten Sozialisten, Liberalen und Kommunisten gebildet wurde. Der allgemeine Umschwung nach rechts begann ungefähr im Oktober und November 1936, als die UdSSR anfing, die Zentralregierung mit Waffen zu versorgen, und als die Macht von den Anarchisten auf die Kommunisten überging. Außer Russland und Mexiko besaß kein anderes Land den Anstand, der Zentralregierung zu Hilfe zu kommen, und Mexiko konnte aus einleuchtenden Gründen Waffen nicht in großen Mengen liefern. So waren also die Russen in der Lage, die Bedingungen zu diktieren. Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass diese Bedingungen vor allem lauteten: »Verhindert die Revolution, oder ihr bekommt keine Waffen.« So wurde die erste Maßnahme gegen die revolutionären Elemente, nämlich die Verdrängung der P.O.U.M. aus der katalanischen Generalidad, nach Befehlen der UdSSR durchgeführt. Man hat abgeleugnet, dass die russische Regierung irgendeinen direkten Druck ausgeübt habe. Aber diese Tatsache ist nicht von großer Bedeutung, denn man kann annehmen, dass die kommunistischen Parteien aller Länder die russische Politik ausführen. Es wird aber nicht geleugnet, dass die kommunistische Partei die hauptsächliche Triebkraft zunächst gegen die P.O.U.M., später gegen die Anarchisten, den von Caballero geführten Flügel der Sozialisten und allgemein gegen eine revolutionäre Politik war. Nachdem sich die UdSSR einmal eingemischt hatte, war der Triumph der kommunistischen Partei gesichert. Zunächst wurde das kommunistische Prestige dadurch enorm gehoben, dass man Russland gegenüber dankbar war für die Waffen und die Tatsache, dass die kommunistische Partei besonders nach Ankunft der Internationalen Brigade den Anschein erweckte, als könnte sie den Krieg gewinnen. Zweitens wurden die russischen Waffen durch die kommunistische Partei oder die mit ihr verbündeten Parteien ausgeliefert, und sie achteten darauf, dass ihre politischen Gegner sowenig wie möglich davon erhielten (Anm.: Das war der Grund dafür, dass es an der aragonischen Front so wenig russische Waffen gab, da die Truppen dort hauptsächlich Anarchisten waren. Bis zum April 1937 sah ich als einzige russische Waffe – mit Ausnahme einiger Flugzeuge, die vielleicht russisch waren, vielleicht aber auch nicht – nur eine einzelne Maschinenpistole.). Drittens gelang es den Kommunisten durch die Verkündung einer nichtrevolutionären Politik, alle diejenigen um sich zu scharen, die von Extremisten verscheucht worden waren. Es war beispielsweise leicht, die wohlhabenderen Bauern gegen die Kollektivierungspolitik der Anarchisten zu sammeln. Die Mitgliedschaft der Partei wuchs gewaltig an, der Zufluss speiste sich hauptsächlich aus dem Mittelstand: Ladenbesitzer, Beamte, Armeeoffiziere, wohlhabende Bauern und so weiter, und so weiter. Im Grunde genommen war der Krieg ein Dreieckskampf. Das Ringen mit Franco musste fortgesetzt werden, aber gleichzeitig war es das Ziel der Zentralregierung, alle Macht zurückzugewinnen, die noch in den Händen der Gewerkschaften verblieben war. Dies geschah durch eine Reihe kleiner Manöver, es war eine Politik der Nadelstiche, wie es jemand genannt hat, und man tat es, im ganzen gesehen, sehr klug. Es gab keine allgemeine, offene Gegenrevolution, und bis zum Mai 1937 war es nicht einmal nötig, Gewalt anzuwenden. Man konnte die Arbeiter immer durch ein Argument zur Räson bringen, das fast zu augenfällig ist, um es zu nennen: »Wenn ihr dieses oder jenes nicht tut, werden wir den Krieg verlieren.« In jedem Fall natürlich verlangte anscheinend die militärische Notwendigkeit, etwas aufzugeben, das die Arbeiter 1936 für sich errungen hatten. Aber dieses Argument war immer stichhaltig, denn das letzte, was die Revolutionsparteien wünschten, war, den Krieg zu verlieren. Verlor man den Krieg, würden Demokratie und Revolution, Sozialismus und Anarchismus zu bedeutungslosen Worten. Die Anarchisten, die einzige Revolutionspartei, deren Größe von Bedeutung war, wurden gezwungen, Stück für Stück nachzugeben. Das Fortschreiten der Kollektivierung wurde angehalten, die örtlichen Ausschüsse wurden entfernt, die Arbeiterpatrouillen wurden aufgelöst, die Polizeikräfte der Vorkriegszeit wurden, weitgehend verstärkt und schwer bewaffnet, wieder eingesetzt, und verschiedene Schlüsselindustrien, die unter der Kontrolle der Gewerkschaften gestanden hatten, wurden von der Regierung übernommen. (Die Übernahme des Telefonamtes von Barcelona, die zu den Maikämpfen geführt hatte, war ein Beispiel dieser Entwicklung.) Schließlich, und das war das allerwichtigste, wurden die Milizeinheiten der Arbeiter, die sich auf die Gewerkschaften gründeten, allmählich auseinandergebrochen und in die neue Volksarmee aufgeteilt. Das war eine >unpolitische< Armee, sie hatte einen halben Bourgeoischarakter. Es gab unterschiedlichen Sold, eine privilegierte Offizierskaste und so weiter, und so weiter. Unter den besonderen Umständen war das tatsächlich ein entscheidender Schritt. In Katalonien vollzog man ihn allerdings später als an anderen Orten, denn hier waren die Revolutionsparteien am stärksten. Offensichtlich bestand die einzige Garantie für die Arbeiter, ihre Errungenschaften zu festigen, nur darin, einen Teil ihrer Streitkräfte unter ihrer eigenen Kontrolle zu haben. Wie gewöhnlich wurde auch das Auseinanderbrechen der Miliz im Namen militärischer Leistungsfähigkeit vollzogen, und niemand leugnete, dass eine gründliche militärische Reorganisation notwendig war. Es wäre aber durchaus möglich gewesen, die Miliz zu reorganisieren und leistungsfähiger zu machen und sie gleichzeitig unter der direkten Kontrolle der Gewerkschaften zu belassen. Der Hauptzweck des Wechsels lag darin, dafür zu sorgen, dass die Anarchisten keine eigenen Waffen mehr besaßen. Außerdem war der demokratische Geist der Miliz ein Brutnest für revolutionäre Ideen. Die Kommunisten wussten das sehr genau und schimpften ohne Unterlass und erbittert über die P.O.U.M. und das anarchistische Prinzip des gleichen Lohns für alle Ränge. Es fand eine allgemeine >Verbürgerlichung< statt, eine absichtliche Zerstörung des Gleichheitsgeistes aus den ersten Monaten der Revolution. Alles ereignete sich so geschwind, dass Leute, die Spanien innerhalb von wenigen Monaten mehrmals besucht hatten, erklärten, dass sie anscheinend kaum das gleiche Land besuchten. Was an der Oberfläche und für eine kurze Weile ein Arbeiterstaat zu sein schien, verwandelte sich vor den eigenen Augen in eine herkömmliche Bourgeoisrepublik mit der normalen Unterscheidung von reich und arm. Im Herbst 1937 erklärte der >Sozialist< Negrin in öffentlichen Ansprachen, dass »wir privates Eigentum respektieren«, und Mitglieder des Cortes, die zu Beginn des Krieges aus dem Land fliehen mussten, da man sie faschistischer Sympathien verdächtigte, kehrten nach Spanien zurück.

Man kann den ganzen Vorgang leicht verstehen, wenn man sich daran erinnert, dass er aus der zeitweiligen Allianz herrührt, die der Faschismus in verschiedenen Formen der Bourgeoisie und den Arbeitern aufzwingt. Dieses Bündnis, bekannt als Volksfront, ist eigentlich eine Allianz zwischen Feinden, und es erscheint als wahrscheinlich, dass es immer damit enden muss, dass ein Partner den anderen verschlingt. Das einzige unerwartete Merkmal an der spanischen Lage – und außerhalb Spaniens hat es in erheblichem Umfange Missverständnisse hervorgerufen – besteht darin, dass unter den Parteien auf der Seite der Zentralregierung die Kommunisten nicht auf der extremen Linken, sondern auf der extremen Rechten standen. In Wirklichkeit sollte das nicht überraschen, denn die Taktik der kommunistischen Partei in anderen Ländern, besonders in Frankreich, hat klar gezeigt, dass man den offiziellen Kommunismus zumindest zur Zeit als eine antirevolutionäre Kraft betrachten muss. Die ganze Kominternpolitik ist jetzt der Verteidigung der UdSSR untergeordnet (entschuldbar, wenn man die Weltsituation betrachtet), und diese Verteidigung beruht auf einem System militärischer Bündnisse. Vornehmlich hat sich die UdSSR mit Frankreich, einem kapitalistisch-imperialistischen Land, verbündet. Dieses Bündnis nützt Russland wenig, es sei denn, der französische Kapitalismus ist stark. Darum muss die kommunistische Politik in Frankreich antirevolutionär sein. Das heißt nicht nur, dass die französischen Kommunisten hinter der Trikolore hermarschieren und die Marseillaise singen, sondern, und das ist noch wichtiger, sie mussten jegliche wirksame Agitation in den französischen Kolonien fallenlassen. Vor weniger als drei Jahren erklärte Thorez, der Sekretär der französischen kommunistischen Partei, die französischen Arbeiter könnten nie zu einem Kampf gegen ihre deutschen Kameraden angestachelt werden (Anm.: In der Deputiertenkammer im März 1935.). Heute ist er in Frankreich einer der laut-halsigsten Patrioten. Der Schlüssel zum Verhalten der kommunistischen Partei in irgendeinem Lande ist die tatsächliche oder potentielle militärische Beziehung dieses Landes zur UdSSR. In England zum Beispiel ist die Lage noch ungewiss, deshalb ist die englische kommunistische Partei der Nationalregierung gegenüber immer noch feindlich eingestellt und widersetzte sich angeblich der Aufrüstung. Wenn aber Großbritannien ein Bündnis oder ein militärisches Abkommen mit der UdSSR abschließt, werden die englischen ähnlich den französischen Kommunisten keine andere Wahl haben, als gute Patrioten und Imperialisten zu werden. Dafür gibt es schon erste Anzeichen. In Spanien wurde die kommunistische >Linie< zweifellos durch die Tatsache beeinflusst, dass Frankreich als Verbündeter Russlands sich gegen einen revolutionären Nachbarn wenden und Himmel und Erde in Bewegung setzen würde, um die Befreiung Spanisch-Marokkos zu verhindern. Die Daily Mail, mit ihren Geschichten einer von Moskau finanzierten roten Revolution, hatte diesmal noch mehr unrecht als gewöhnlich. In Wirklichkeit waren es die Kommunisten, die vor allen anderen in Spanien eine Revolution verhinderten. Als die Kräfte der Rechten später im vollen Besitz der Kontrolle waren, zeigten sich die Kommunisten willig, bei der Jagd auf revolutionäre Führer noch ein gutes Stück weiter als die Liberalen zu gehen (Anm.: Der beste Bericht über das Wechselspiel zwischen den Parteien auf der Regierungsseite ist Franz Borkenaus The Spanish Cockpit. Es ist das weitaus aufschlussreichste Buch, das bis jetzt über den Spanischen Krieg erschienen ist.).

Ich habe versucht, den allgemeinen Ablauf der spanischen Revolution während des ersten Jahres zu skizzieren, denn das erleichtert das Verständnis der Situation für jeden einzelnen Augenblick. Aber ich möchte nicht den Eindruck erwecken, als ob ich im Februar schon die gleichen Ansichten gehabt hätte, wie ich sie hier geschildert habe. Vor allem hatten die Ereignisse, die mir die Augen öffneten, noch nicht stattgefunden, und meine Sympathien lagen jedenfalls etwas anders als heute. Das kam zum Teil daher, weil mich die politische Seite des Krieges langweilte, und ich opponierte natürlich gegen die Ansichten, die ich am häufigsten hörte, das heißt die Ansichten der P.O.U.M.-I.L.P. Die Engländer, mit denen ich augenblicklich zusammen lebte, waren die Mitglieder der I.L.P, einige auch der KP. Die meisten von ihnen waren politisch viel besser unterrichtet als ich selbst. Während vieler Wochen dieser langweiligen Zeit, als vor Huesca nichts geschah, fand ich mich selbst mitten in einer politischen Diskussion, die praktisch niemals endete. In der zugigen, übel riechenden Scheune des Bauernhauses, in dem wir einquartiert waren, in der stickigen Dunkelheit der Unterstände und während der kalten Mitternachtsstunden hinter der Brustwehr wurde endlos über die miteinander in Konflikt liegenden Partei->Linien< debattiert. Auch die Spanier taten nichts anderes. Die meisten Zeitungen, die wir zu Gesicht bekamen, beschäftigten sich auch vorwiegend mit dem Kampf zwischen den Parteien. Man musste taub oder schwachsinnig sein, um nicht etwa zu begreifen, wofür sich die verschiedenen Parteien einsetzten.

Es gab nur drei Parteien von politisch-theoretischer Bedeutung, die P.S.U.C., die P.O.U.M. und die C.N.T.-F.A.I., ungenau als Anarchisten bezeichnet. Ich beschreibe zuerst die P.S.U.C., da sie die bedeutendste war. Es war die Partei, die zum Schluss triumphierte, und selbst zu dieser Zeit war sie schon sichtbar im Aufstieg.

Es ist notwendig zu erklären, dass in Wirklichkeit die kommunistische Parteilinie gemeint ist, wenn man von der P.S.U.C.>Linie< spricht. Die P.S.U.C. (Partido Socialista Unificado de Catalufia) war die sozialistische Partei Kataloniens. Sie war zu Beginn des Krieges durch den Zusammenschluss verschiedener marxistischer Parteien, einschließlich der katalanischen kommunistischen Partei, gegründet worden. Aber sie stand jetzt vollständig unter kommunistischer Kontrolle und gehörte zur Dritten Internationale. Nirgendwo sonst in Spanien hatte es eine formale Einigung zwischen Sozialisten und Kommunisten gegeben. Aber man konnte annehmen, dass überall der kommunistische und der rechtssozialistische Standpunkt identisch waren. Grob gesprochen war die P.S.U.C. das politische Organ der U.G.T. (Union General de Trabajadores), der sozialistischen Gewerkschaften. Die Mitgliederzahl dieser Gewerkschaften betrug jetzt in ganz Spanien etwa eineinhalb Millionen. Darunter befanden sich große Teile der Handarbeiter, aber seit dem Ausbruch des Krieges waren sie auch durch den Zustrom aus dem Mittelstand angeschwollen. Denn während der ersten Revolutionstage hatten es viele Leute als nützlich empfunden, sich entweder der U.G.T. oder der C.N.T. anzuschließen. Die beiden Gewerkschaftsblocks deckten sich zum Teil, aber unter den beiden war die C.N.T. eindeutiger eine Organisation der Arbeiterklasse. Deshalb war die P.S.U.C. teilweise eine Partei der Arbeiter und teilweise der kleinen Bourgeoisie, der Ladenbesitzer, der Beamten und der wohlhabenderen Bauern.

Die >Linie< der P.S.U.C., die in der kommunistischen und prokommunistischen Presse der ganzen Welt gepredigt wurde, lautete ungefähr so:

»Im Augenblick ist nichts von Bedeutung, als den Krieg zu gewinnen. Ohne Sieg in diesem Krieg ist alles andere bedeutungslos. Darum ist es nicht der richtige Augenblick, davon zu sprechen, die Revolution voranzutreiben. Wir können es uns nicht leisten, uns die Bauern zu entfremden, indem wir ihnen die Kollektivierung aufzwingen, und wir können es uns auch nicht leisten, die Mittelklasse abzuschrecken, die auf unserer Seite kämpft. Vor allem müssen wir um der Leistung willen das ganze revolutionäre Chaos beseitigen. An Stelle von örtlichen Ausschüssen brauchen wir eine starke Zentralregierung und eine richtig ausgebildete, voll leistungsfähige Armee unter einem einheitlichen Kommando. Es ist mehr als nutzlos, sich an die Überreste einer Kontrolle durch die Arbeiter zu halten und revolutionäre Phrasen nachzuplappern. Das ist nicht nur hinderlich, sondern sogar konterrevolutionär und führt zu Aufspaltungen, die die Faschisten gegen uns benutzen können. In diesem Stadium kämpfen wir nicht für die Diktatur des Proletariats, wir kämpfen für die parlamentarische Demokratie.

Wer versucht, den Bürgerkrieg in eine soziale Revolution zu verwandeln, spielt in die Hände der Faschisten und ist in der Wirkung, wenn nicht sogar in der Absicht, ein Verräter.«

Die Parteilinie der P.O.U.M. unterschied sich hiervon in jedem Punkt, außer der Forderung natürlich, dass es wichtig sei, den Krieg zu gewinnen. Die P.O.U.M. war eine jener sezessionistischen kommunistischen Parteien, die während der letzten Jahre in vielen Ländern als Resultat der Opposition gegen den >Stalinismus< entstanden sind, also als Antwort auf einen wirklichen oder scheinbaren Wechsel in der kommunistischen Politik. Sie bestand teilweise aus ehemaligen Kommunisten und teilweise aus einer ehemaligen anderen Partei, dem Block der Arbeiter und Bauern. Zahlenmäßig war sie eine kleine Partei (Anm.: Die Mitgliedszahlen der P.O.U.M. betrugen im Juli 1936 10 000, Dezember 1936 70000, Juni 1937 40000. Diese Zahlen stammen aber aus P.O.U.M.-Quellen. Eine gegnerisdie Schätzung würde sie wahrscheinlich durch vier teilen. Das einzige, was sich mit einiger Gewissheit über die Mitgliedszahlen der politischen Parteien Spaniens sagen lässt, ist, dass jede Partei ihre eigene Stärke überschätzt.). Sie hatte außerhalb Kataloniens nicht viel Einfluss und war hauptsächlich deshalb wichtig, weil sie eine ungewöhnlich große Anzahl politisch überzeugter Mitglieder hatte. Ihre Hochburg in Katalonien war Lerida. Sie vertrat keinen besonderen Block der Gewerkschaften.

Die Milizsoldaten der P.O.U.M. waren hauptsächlich Mitglieder der C.N.T., aber die eigentlichen Parteimitglieder gehörten meistens der U.G.T. an. Aber nur in der C.N.T. hatte die P.O.U.M. einen gewissen Einfluss. Die Parteilinie der P.O.U.M. lautete ungefähr so:

»Es ist Unsinn, davon zu sprechen, dem Faschismus durch eine Bourgeois->Demokratie< entgegenzutreten. Bourgeois->Demokratie< ist nur ein anderer Name für Kapitalismus, genauso wie der Faschismus. Im Namen der Demokratie gegen den Faschismus zu kämpfen, heißt, im Namen einer Form des Kapitalismus gegen eine zweite zu kämpfen, die sich zu jeder Zeit in die erste verwandeln kann. Die einzig wirkliche Alternative zum Faschismus ist die Ausübung der Kontrolle durch die Arbeiter. Wer sich irgendein kleineres Ziel als dieses setzt, wird entweder Franco den Sieg aushändigen oder im besten Falle den Faschismus durch die Hintertür hereinlassen. Vorläufig müssen die Arbeiter an jedem Stückchen festhalten, das sie errungen haben. Wenn sie irgend etwas wieder der halbbürgerlichen Regierung überlassen, können sie sicher sein, dass sie betrogen werden. Die Milizeinheiten und die Polizeikräfte der Arbeiter müssen in ihrer augenblicklichen Form erhalten bleiben, und jedem Versuch, sie zu verbürgerlichen, muss Widerstand geleistet werden. Wenn die Arbeiter die Streitkräfte nicht kontrollieren, werden die Streitkräfte die Arbeiter kontrollieren. Der Krieg und die Revolution sind untrennbar.«

Die anarchistische Einstellung lässt sich weniger leicht definieren. Der ungenaue Begriff Anarchisten wird jedenfalls benutzt, um eine Vielzahl von Leuten mit sehr unterschiedlichen Ansichten zu bezeichnen. Der riesige Block der Gewerkschaften der C.N.T. (Confederacion Nacional de Trabajadores) mit rund zwei Millionen Mitgliedern hatte als politisches Organ die F.A.I. (Federacion Anarquista Iberica), eine durchaus anarchistische Organisation. Aber selbst die Mitglieder der F.A.I. waren zwar, wie vielleicht die meisten Spanier, von der anarchistischen Philosophie angehaucht, aber nicht notwendigerweise Anarchisten im reinsten Sinne. Besonders seit Beginn des Krieges hatten sie sich mehr in die Richtung des gewöhnlichen Sozialismus bewegt, weil die Umstände sie gezwungen hatten, an einer zentralisierten Verwaltung teilzunehmen und sogar ihre sämtlichen Prinzipien zu brechen, indem sie in die Regierung eintraten. Trotzdem unterschieden sie sich von den Kommunisten grundsätzlich dadurch, dass sie wie die P.O.U.M. die Kontrolle durch die Arbeiter verwirklichen wollten und nicht eine parlamentarische Demokratie. Sie akzeptierten das Schlagwort der P.O.U.M.: »Der Krieg und die Revolution sind untrennbar«, obwohl sie weniger dogmatisch darüber dachten. Grob gesagt, hießen die Ziele der C.N.T.-F.A.I.:

  1. Ausübung der direkten Kontrolle über die Industrie durch die Arbeiter in den einzelnen Industriezweigen, also im Transportwesen, in den Textilfabriken und so weiter;
  2. Regierung in der Form örtlicher Ausschüsse und Widerstand gegen jegliche Form zentralisierter autoritärer Regierungsgewalt; 
  3. kompromisslose Gegnerschaft gegen die Bourgeoisie und die Kirche. 

Der letzte Punkt, obwohl der am wenigsten präzise, war der bedeutendste. Die Anarchisten waren genau das Gegenteil der meisten so genannten Revolutionäre, weil ihre Prinzipien zwar ziemlich vage, ihr Hass auf Privilegien und Ungerechtigkeit dagegen vollständig echt war. Weltanschaulich sind Kommunismus und Anarchismus polare Gegensätze. In der Praxis, das heißt in bezug auf die beabsichtigte Gesellschaftsform, liegt der Unterschied hauptsächlich in der Betonung, aber er ist nicht zu überbrücken. Die Kommunisten betonen immer den Zentralismus und den Nutzeffekt, die Anarchisten Freiheit und Gleichheit. Der Anarchismus ist in Spanien tief verwurzelt und wird wahrscheinlich den Kommunismus überdauern, wenn der russische Einfluss zurückgenommen wird. Gerade die Anarchisten hatten während der ersten zwei Kriegsmonate die Lage mehr als irgend jemand gerettet, und selbst lange Zeit danach waren die Milizeinheiten der Anarchisten trotz ihrer schlechten Disziplin offenkundig die besten Kämpfer unter den rein spanischen Truppen. Ab Februar 1937 konnte man bis zu einem gewissen Grade die Anarchisten und die P.O.U.M. als eine Einheit ansehen. Hätten die Anarchisten, die P.O.U.M. und der linke Flügel der Sozialisten zu Beginn genügend Verstand gehabt, sich zusammengetan und eine realistische Politik durchgeführt, wäre der Krieg möglicherweise anders verlaufen. Das war aber zu Beginn dieses Kampfes, als die Revolutionsparteien das Spiel in Händen zu haben schienen, unmöglich. Zwischen den Anarchisten und Sozialisten standen uralte Eifersüchte. Die Anhänger der P.O.U.M. waren als Marxisten skeptisch gegenüber den Anarchisten, während vom rein anarchistischen Standpunkt aus der >Trotzkismus< der P.O.U.M. dem >Stalinismus< der Kommunisten kaum vorzuziehen war.

Trotzdem bewirkte die kommunistische Taktik ein Zusammengehen der beiden Parteien.

Als die P.O.U.M. sich im Mai an den unheilvollen Kämpfen in Barcelona beteiligte, geschah dies hauptsächlich in einem Gefühl des Beistandes für die C.N.T., und als später die P.O.U.M. unterdrückt wurde, wagten es allein die Anarchisten, eine Stimme zu ihrer Verteidigung zu erheben.

Grob gesprochen hatten sich die Kräfte etwa so gegliedert: auf der einen Seite die C.N.T.-F.A.I., die P.O.U.M. und der Flügel der Sozialisten, die für die Kontrolle durch die Arbeiter waren; auf der anderen Seite der rechte Flügel der Sozialisten, die Liberalen und die Kommunisten, die sich für eine Zentralregierung und eine militarisierte Armee einsetzten.

Es ist leicht verständlich, warum ich zu dieser Zeit den kommunistischen Standpunkt dem der P.O.U.M. vorzog. Nach dem gesunden Menschenverstand, der nur die nahe Zukunft im Auge hat, besaßen die Kommunisten eine entschiedene, praktische Politik, also offensichtlich eine bessere Politik. Sicher waren außerdem die tagtägliche Politik der P.O.U.M., ihre Propaganda und so weiter unaussprechlich schlecht. Das war sicher so, denn sonst hätten sie eine größere Gefolgschaft anziehen müssen. Den Ausschlag aber gab -so schien es mir -, dass die Kommunisten in diesem Krieg vorankamen, während wir und die Anarchisten stillstanden. Dieses Gefühl hatte zu jener Zeit jeder. Die Kommunisten hatten die Macht und einen großen Zuwachs ihrer Mitgliedschaft teilweise dadurch gewonnen, weil sie sich, die Revolutionäre bekämpfend, an die Mittelklasse wandten, aber teilweise auch, weil sie die einzigen Leute waren, die aussahen, als ob sie fähig seien, den Krieg zu gewinnen. Die russischen Waffen und die großartige Verteidigung Madrids durch Truppen, die hauptsächlich unter kommunistischer Kontrolle standen, hatte die Kommunisten zu den Helden Spaniens gemacht. Jedes russische Flugzeug, das über unsere Köpfe flog, war, wie es jemand einmal ausdrückte, kommunistische Propaganda. Der revolutionäre Übereifer der P.O.U.M. erschien mir ziemlich fruchtlos, obwohl ich seine Logik einsah. Denn schließlich kam es in diesem Krieg allein auf den Sieg an.

Währenddessen aber tobte überall der teuflische Kampf zwischen den Parteien, in Zeitungen, Flugblättern, auf Plakaten und in Büchern. Ich bekam damals vor allem die P.O.U.M.-Zeitungen La Batalla und Adelante zu Gesicht. Ich fand ihre endlose Krittelei an der »konterrevolutionären« P.S.U.C. ermüdend und pedantisch. Als ich später die Presse der P.S.U.C. und der Kommunisten etwas näher studierte, erkannte ich, dass die P.O.U.M. im Vergleich zu ihren Feinden beinahe tadellos war. Außerdem waren ihre Möglichkeiten sehr beschränkt. Im Gegensatz zu den Kommunisten fanden sie in der Presse außerhalb ihres eigenen Landes keine Unterstützung, und in Spanien selbst waren sie in einem gewaltigen Nachteil, weil die Zensur der Presse hauptsächlich von Kommunisten ausgeübt wurde. Das bedeutete, dass die Zeitungen der P.O.U.M. häufig unterdrückt oder bestraft werden konnten, wenn sie etwas Schädliches sagten. Man muss außerdem fair sein und sagen, dass die P.O.U.M. sich nicht in persönlichen Angriffen erging, obwohl sie endlose Predigten über die Revolution hielt und Lenin bis zum Erbrechen zitierte. Außerdem beschränkte sie ihre Polemik vor allem auf Zeitungsartikel. Ihre großen, bunten Plakate, die für eine breitere Öffentlichkeit entworfen waren (Plakate sind in Spanien mit seiner größtenteils des Lesens unkundigen Bevölkerung wichtig), griffen nicht die gegnerischen Parteien an, sondern hatten einfach antifaschistische oder abstrakte revolutionäre Inhalte. Das galt auch für die Lieder, die die Milizsoldaten sangen. Die Anschuldigungen der Kommunisten dagegen waren eine ganz andere Sache. Ich werde mich später in diesem Buch damit noch befassen müssen. An dieser Stelle kann ich die kommunistischen Angriffe nur kurz andeuten.

Nach außen war der Streit zwischen den Kommunisten und der P.O.U.M. nur eine taktische Frage. Die P.O.U.M. setzte sich für die sofortige Revolution ein, die Kommunisten nicht. So weit, so gut, dafür konnte man auf beiden Seiten viel sagen. Darüber hinaus behaupteten die Kommunisten, die Propaganda der P.O.U.M. entzweie und schwäche die Regierungstruppen und gefährde so den Sieg in diesem Krieg. Auch dieses Argument enthält einen wahren Kern, obwohl ich letzten Endes nicht damit einverstanden bin. Aber hier zeigte sich die Eigentümlichkeit der kommunistischen Taktik. Anfangs noch vorsichtig, dann aber lauter behaupteten sie, die P.O.U.M. zersplittere die Regierungstruppen nicht allein durch ihre schlechte Urteilskraft, sondern durch wohlüberlegte Absicht. Die P.O.U.M. wurde als eine Bande verkleideter Faschisten angeprangert, die von Franco und Hitler bezahlt seien und eine pseudorevolutionäre Politik verfolgten, um so der faschistischen Sache zu helfen; die P.O.U.M. sei eine >trotzkistische< Organisation und die >Fünfte Kolonne Francos<. Das hieß also, dass Zehntausende von Arbeitern einschließlich der acht- oder zehntausend Soldaten, die in den Schützengräben froren, und Hunderte von Ausländern, die nach Spanien gekommen waren, um gegen den Faschismus zu kämpfen, und oft ihren Lebensunterhalt und ihre Nationalität aufgegeben hatten, einfach vom Feind bezahlte Verräter waren. Diese Geschichte aber wurde in ganz Spanien durch Plakate und ähnliches verbreitet und in der kommunistischen und prokommunistischen Presse der ganzen Welt ständig wiederholt. Ich könnte ein halbes Dutzend Bücher mit Zitaten füllen, wenn ich mir vorgenommen hätte, sie zu sammeln.

So sagten sie also von uns, wir seien Trotzkisten, Faschisten, Verräter, Mörder, Feiglinge, Spione und so weiter. Ich gebe zu, dass das nicht angenehm war, besonders wenn man an einige der Leute dachte, die dafür verantwortlich waren. Es ist nicht schön, wenn man sieht, wie ein fünfzehnjähriger spanischer Junge auf einer Bahre aus der Front getragen wird, mit seinem verwirrten, weißen Gesicht unter der Decke hervorschaut, und man sich dann die gewissenlosen Leute in London und Paris vorstellt, die Broschüren schreiben, um nachzuweisen, dass dieser Junge ein verkappter Faschist sei. Es ist einer der scheußlichsten Züge des Krieges, dass alle Kriegspropaganda, alles Geschrei, alle Lügen und aller Hass ständig von Leuten kommen, die nicht mitkämpfen. Die Milizsoldaten der P.S.U.C., die ich an der Front kennenlernte, oder die Kommunisten aus der Internationalen Brigade, die ich von Zeit zu Zeit traf, bezeichneten mich niemals als Trotzkisten oder Verräter; so etwas überließen sie den Journalisten hinter der Front. Die Leute, die Broschüren gegen uns schrieben und uns in den Zeitungen beschimpften, blieben wohlbehütet zu Hause. Schlimmstenfalls aber saßen sie in den Zeitungsredaktionen von Valencia, Hunderte von Kilometern von Kugelregen und Schlamm entfernt. Der Kampf zwischen den Parteien wurde mit Verleumdung geschürt, dazu kamen wie üblich die gewöhnlichen Kriegsgeschichten, man rührte die Propagandatrommeln, erzählte Heldentaten und schmähte den Feind. Das alles war das Werk von Leuten, die nicht kämpften und die in vielen Fällen lieber zweihundert Kilometer gelaufen wären, als sich am Kampf zu beteiligen. Als eine der traurigsten Wirkungen dieses Krieges erkannte ich, dass die Presse der Linken bis ins kleinste genauso falsch und unehrlich ist wie die der Rechten (Anm.: Ich möchte als einzige Ausnahme den Manchester Guardian nennen. Im Zusammenhang mit diesem Buch musste ich die Archivbände einer ganzen Anzahl englischer Zeitungen durchblättern. Allein der Manchester Guardian unter unseren größeren Zeitungen hinterlässt in mir einen wachsenden Respekt für seine Ehrlichkeit.). Ich bin ernsthaft davon überzeugt, dass sich dieser Krieg auf unserer Seite, also der Zentralregierung, von den normalen, imperialistischen Kriegen unterschied. Das hätte man jedoch nach der Art der Kriegspropaganda niemals annehmen können. Kaum hatten die Kämpfe begonnen, tauchten die Zeitungen der Rechten und der Linken gleichzeitig in dieselbe Senkgrube von Beschimpfungen. Wir alle erinnern uns an das Plakat der Daily Mail mit der Überschrift »Rote kreuzigen Nonnen«. Nach den Worten des Daily Worker hingegen setzte sich die Fremdenlegion Francos aus »Mördern, weißen Sklavenhändlern, Rauschgiftsüchtigen und dem Ausschuss jedes europäischen Landes« zusammen. Selbst noch im Oktober 1937 traktierte uns der New Statesman mit Geschichten von faschistischen Barrikaden, die man aus den Körpern lebendiger Kinder errichtet habe (ein sehr unpraktisches Material, um Barrikaden daraus zu machen). Mr. Arthur Bryant erklärte gleichzeitig, dass es im loyalistischen Spanien durchaus üblich sei, die Füße eines konservativen Geschäftsmannes einfach abzusägen. Leute, die solche Geschichten schreiben, beteiligen sich nie am Kampf. Vielleicht glauben sie, so zu schreiben sei ein Ersatz für das Kämpfen. Das ist in allen Kriegen immer das gleiche. Die Soldaten kämpfen, die Journalisten schreiben, und kein wahrer Patriot kommt je einem Schützengraben an der Front nahe, außer auf ganz kurzen Propagandatouren. Manchmal tröstete es mich zu wissen, dass das Flugzeug die Bedingungen eines Krieges ändert. Vielleicht sehen wir im nächsten Krieg etwas, was es nie zuvor in der Geschichte gegeben hat: einen Säbelrassler mit einem Kugelloch im Bauch.

Vom journalistischen Standpunkt aus war dieser Krieg wie alle anderen Kriege ein Schauspiel. Aber in Spanien gab es einen Unterschied. Wenn normalerweise die Journalisten ihre mörderischen Schmähungen für den Feind reservieren, kamen im Laufe der Zeit die Kommunisten und die P.O.U.M.-Leute dazu, erbitterter voneinander als von den Faschisten zu schreiben. Trotzdem konnte ich mich damals nicht dazu aufraffen, das alles sehr ernst zu nehmen. Der Kampf zwischen den Parteien war ärgerlich und sogar widerwärtig, aber er kam mir vor wie ein häuslicher Hader. Ich glaubte nicht, dass er irgend etwas ändern würde oder dass es wirklich unüberbrückbare Unterschiede in der Politik gebe. Es leuchtete mir ein, dass sich die Kommunisten und die Liberalen vorgenommen hatten, die Revolution nicht weiter fortschreiten zu lassen. Ich konnte jedoch nicht begreifen, dass sie fähig sein könnten, sie zurückzudrehen.

Dafür gab es gute Gründe. Während der ganzen Zeit war ich an der Front, und an der Front veränderte sich die gesellschaftliche oder politische Atmosphäre nicht. Ich hatte Barcelona Anfang Januar verlassen und trat meinen Urlaub nicht vor Ende April an. Während dieser ganzen Zeit, ja selbst später noch, blieben die Bedingungen in diesem Teil von Aragonien, der von den Anarchisten und den Truppen der P.O.U.M. kontrolliert wurde, die gleichen, zumindest nach außen hin. Die revolutionäre Atmosphäre blieb so, wie ich sie am Anfang kennen gelernt hatte. Generale und einfache Soldaten, Bauern und Milizsoldaten begegneten sich als ebenbürtig, jeder erhielt den gleichen Lohn, trug die gleiche Kleidung, aß die gleiche Nahrung und nannte jeden anderen du und Kamerad. Es gab keine Klasse der Bosse, keine Klasse der Lakaien, keine Bettler, keine Prostituierten, keine Rechtsanwälte, keine Priester, keine Speichelleckerei und keine Unterwürfigkeit. Ich atmete die Luft der Gleichheit und war einfältig genug, mir vorzustellen, dass sie in ganz Spanien existierte. Es fiel mir nicht auf, dass ich mehr oder minder zufällig unter dem revolutionärsten Teil der spanischen Arbeiterklasse isoliert war. Ich neigte dazu, über meine politisch besser unterrichteten Kameraden zu lachen, wenn sie mir erzählten, dass man dem Krieg gegenüber nicht eine rein militärische Haltung einnehmen könne oder dass es nur die Wahl zwischen Revolution und Faschismus gebe. Im großen und ganzen akzeptierte ich die kommunistische Ansicht, die man mit den Worten zusammenfassen kann: »Wir können nicht über die Revolution sprechen, ehe wir nicht den Krieg gewonnen haben.« Und ich stimmte nicht mit der Ansicht der P.O.U.M. überein, die ungefähr lautete: »Wir müssen vorwärts gehen oder wir gehen zurück.« Wenn ich mich später dazu entschloss, den Standpunkt der P.O.U.M. als den richtigen anzusehen, jedenfalls als richtiger als den der Kommunisten, geschah dies nicht aus rein theoretischen Gründen.

Auf dem Papier machte sich die Sache der Kommunisten gut aus. Leider aber erschwerten sie durch ihr tatsächliches Verhalten den Glauben daran, dass sie ihre Sache mit gutem Willen vorantrieben. Der oft wiederholte Leitspruch »Zuerst der Krieg und dann die Revolution« war leeres Geschwätz, obwohl der gewöhnliche P.S.U.C.-Milizsoldat davon überzeugt war und ehrlich meinte, die Revolution könne weitergeführt werden, wenn der Krieg gewonnen sei. Die Kommunisten bemühten sich nicht etwa, die spanische Revolution auf einen besser geeigneten Zeitpunkt zu verschieben, sondern sorgten dafür, dass sie nie stattfände. Das wurde mit der Zeit immer deutlicher, als sie die Macht in zunehmendem Maße den Händen der Arbeiterklasse entwanden und als mehr und mehr Revolutionäre aller Schattierungen ins Gefängnis geworfen wurden. Jede Maßnahme wurde im Namen der militärischen Notwendigkeit vollzogen, denn dieser Vorwand lag sozusagen griffbereit. Aber tatsächlich lief alles darauf hinaus, die Arbeiter aus einer günstigen Position zu verdrängen und sie in eine Position hineinzumanövrieren, in der es ihnen im Moment, da der Krieg vorbei war, unmöglich sein würde, der Wiedereinführung des Kapitalismus zu widerstehen. Ich möchte klarmachen, dass ich damit nichts gegen den einfachen Kommunisten sagen will, vor allem nicht gegen die vielen tausend Kommunisten, die bei Madrid so heroisch starben. Aber sie lenkten nicht die Parteipolitik. Man kann sich nicht vorstellen, dass die Männer in den oberen Rängen handelten, ohne ihre Augen offen zu haben.

Aber schließlich war es schon der Mühe wert, diesen Krieg zu gewinnen, selbst wenn die Revolution nicht erfolgreich war. Zum Schluss kamen mir Zweifel, ob auf lange Sicht die kommunistische Politik auf den Sieg abzielte. Sehr wenige Menschen scheinen darüber nachgedacht zu haben, dass in verschiedenen Abschnitten des Krieges eine unterschiedliche Politik angebracht sein könnte. Vermutlich retteten die Anarchisten während der ersten zwei Monate die Lage, aber sie waren unfähig, über eine bestimmte Zeit hinaus den Widerstand zu organisieren. Wahrscheinlich retteten im Oktober bis Dezember die Kommunisten die Lage, aber es war wieder eine ganz andere Sache, den Krieg vollständig zu gewinnen. Fraglos wurde in England die kommunistische Kriegspolitik anerkannt, denn nur sehr wenig kritische Äußerungen waren wirklich veröffentlicht worden. Die allgemeinen Grundlinien klangen außerdem so realistisch und wirkungsvoll, so etwa, dass man das revolutionäre Chaos beseitigen, die Produktion ankurbeln und die Armee nach militärischen Grundsätzen aufbauen müsse. Es lohnt sich, auf die diesen Prinzipien innewohnende Schwäche hinzuweisen.

Um jede revolutionäre Tendenz im Zaum zu halten und den Krieg soweit wie möglich zu einem normalen Krieg zu machen, wurde es notwendig, die tatsächlich existierenden strategischen Gelegenheiten vorübergehen zu lassen. Ich habe schon beschrieben, wie wir an der aragonischen Front bewaffnet oder, besser gesagt, nicht bewaffnet waren. Es bestehen wenig Zweifel, dass die Waffen absichtlich zurückgehalten wurden, damit möglichst wenig in die Hände der Anarchisten gelangten, die sie später zu revolutionären Zwecken benutzen könnten. Folglich fand die große aragonische Offensive nie statt, die Franco gezwungen hätte, sich von Bilbao, ja vielleicht sogar von Madrid zurückzuziehen. Das war aber eine verhältnismäßig kleine Angelegenheit. Viel wichtiger war, dass in dem Augenblick, da man den Krieg erst einmal auf den Begriff eines >Krieges für die Demokratie< beschränkte, es unmöglich wurde, in größerem Maßstabe an die Hilfe der Arbeiterklasse anderer Länder zu appellieren. Wenn wir den Tatsachen ins Gesicht sehen, müssen wir zugeben, dass die Arbeiterklasse der Welt den Spanischen Krieg mit einer gewissen Gleichgültigkeit betrachtet hat. Zehntausende kamen einzeln, um mitzukämpfen, aber viele Millionen blieben apathisch zurück. Man nimmt an, dass während des ersten Kriegsjahres die gesamte britische Bevölkerung etwa eine Viertelmillion Pfund für verschiedene Spanien-Hilfsfonds gestiftet hat, das ist wahrscheinlich halb soviel, wie sie in einer einzigen Woche ausgab, um ins Kino zu gehen. In Wirklichkeit hätte die Arbeiterklasse der demokratischen Länder ihren spanischen Kameraden durch industrielle Aktionen helfen können, durch Streiks und Boykotts. Dazu zeigten sich aber nicht einmal Ansätze. Die Führer der Arbeiterbewegung und der Kommunisten erklärten überall, so etwas sei undenkbar. Ohne Zweifel hatten sie recht, solange sie lauthals beteuerten, dass das >rote< Spanien nicht >rot< sei. Seit 1914-18 hat der >Krieg für die Demokratie< einen bösen Beigeschmack. Jahrelang hatten die Kommunisten selbst den militanten Arbeitern in allen Ländern beigebracht, dass Demokratie ein höflicher Name für Kapitalismus sei. Es ist keine gute Taktik, wenn man zuerst sagt: »Demokratie ist ein Schwindel« und dann: »Kämpft für die Demokratie!« Hätten sie, mit dem riesigen Ansehen Sowjetrusslands hinter sich, die Arbeiter der Welt nicht im Namen eines demokratischen Spaniens, sondern eines revolutionären Spaniens aufgerufen, kann man sich kaum vorstellen, dass eine Antwort ausgeblieben wäre.

Das Wichtigste aber ist, dass eine nichtrevolutionäre Politik es schwer, wenn nicht sogar unmöglich machte, einen Schlag gegen Francos Hinterland zu führen. Im Sommer 1937 kontrollierte Franco einen größeren Teil der Bevölkerung als die Regierung, sogar viel größer, wenn man auch die Kolonien mitzählt. Er tat das mit der gleichen Anzahl Truppen. Wie jedermann weiß, ist es unmöglich, mit einer feindlichen Bevölkerung im Rücken eine Armee im Feld zu halten, ohne eine gleich große Armee zur Bewachung der Verbindungswege und zur Unterdrückung von Sabotage und so weiter zu haben. Offensichtlich gab es also keine richtige volkstümliche Bewegung im Rücken Francos. Es war undenkbar, dass die Bevölkerung in seinem Herrschaftsbereich, jedenfalls die Arbeiter in den Städten und die ärmeren Bauern, Franco gern hatten oder sogar seine Regierung wünschten. Aber der Vorzug der Zentralregierung wurde mit jedem Schritt zur Rechten hin weniger offensichtlich – Marokko gab den Ausschlag. Warum gab es keine Revolution in Marokko? Franco versuchte, dort eine berüchtigte Diktatur einzurichten, und die Mauren zogen ihn tatsächlich der Volksfrontregierung vor! Die harte Wahrheit ist, dass kein Versuch gemacht wurde, einen Aufruhr in Marokko anzustiften, denn das hätte bedeutet, dem Krieg wieder eine revolutionäre Konstruktion zu geben. Die erste Notwendigkeit wäre gewesen, die Freiheit Marokkos zu verkünden, um die Mauren von den guten Absichten zu überzeugen. Wir können uns vorstellen, wie sich die Franzosen darüber gefreut hätten! Die beste strategische Gelegenheit des Krieges wurde weggeworfen in der vagen Hoffnung, so den französisch-britischen Kapitalismus zu besänftigen. Die gesamte Tendenz der kommunistischen Politik bestand darin, den Krieg auf einen normalen, nichtrevolutionären Krieg zu reduzieren, in dem die Zentralregierung sehr stark benachteiligt war. Denn ein Krieg dieser Art muss durch mechanische Mittel, das heißt letzten Endes durch einen unbegrenzten Waffennachschub gewonnen werden. Der Hauptwaffenlieferant der Zentralregierung, die UdSSR, hatte aber im Vergleich mit Italien und Deutschland einen großen geographischen Nachteil. Vielleicht war die Losung der P.O.U.M. und der Anarchisten »Der Krieg und die Revolution sind untrennbar« weniger visionär, als es klang.

Ich habe meine Gründe dargelegt, warum ich glaubte, die kommunistische, antirevolutionäre Politik sei falsch gewesen. Ich hoffe jedoch nicht, dass sich mein Urteil im Hinblick auf ihre Auswirkung auf den Krieg als richtig erweist. Ich hoffe tausendmal, dass mein Urteil falsch ist. Ich möchte gerne sehen, dass dieser Krieg durch jedes nur mögliche Mittel gewonnen wird, und wir können natürlich nicht sagen, was sich ereignen wird. Die Regierung wird sich vielleicht wieder der Linken zuwenden. Vielleicht revoltieren die Mauren aus eigener Initiative. England mag sich dazu entschließen, Italien aufzukaufen. Vielleicht kann der Krieg auch durch direkte militärische Maßnahmen gewonnen werden. All das kann man nicht wissen. Ich lasse die oben geschilderten Ansichten stehen, wie sie sind, und die Zukunft wird zeigen, ob ich recht oder unrecht gehabt habe. Aber im Februar 1937 sah ich die Dinge nicht ganz im gleichen Licht. Ich war des Nichtstuns an der aragonischen Front müde und war mir vor allen Dingen darüber im klaren, dass ich meinen gerechten Anteil am Kampf noch nicht geleistet hatte. Ich entsann mich des Rekrutierungsplakates in Barcelona, das die Passanten mahnend fragte: »Was hast Du für die Demokratie getan?«, und ich fühlte, dass ich nurantworten könnte: »Ich habe meine Rationen in Empfang genommen.« Als ich mich der Miliz anschloss, hatte ich mir selbst das Versprechen gegeben, einen Faschisten zu töten. Wenn schließlich jeder von uns einen tötete, würden sie bald ausgerottet sein. Aber bisher hatte ich noch niemanden getötet, und es gab kaum eine Chance dazu. Außerdem wollte ich natürlich nach Madrid gehen. Jeder in der Armee, wie auch seine politischen Ansichten lauten mochten, wollte nach Madrid gehen. Das bedeutete für mich wahrscheinlich einen Wechsel zur Internationalen Brigade. Denn die P.O.U.M. hatte jetzt nur wenig Truppen bei Madrid, und auch die Anarchisten hatten nicht mehr soviel wie früher.

Im Augenblick musste man natürlich an der Front bleiben, aber ich sagte jedem, dass ich beim nächsten Urlaub nach Möglichkeit zur Internationalen Brigade überwechseln würde. Das hieß, ich musste mich unter kommunistische Kontrolle stellen. Verschiedene Leute versuchten, mir diesen Gedanken auszureden, aber niemand versuchte, sich in meine persönlichen Angelegenheiten einzumischen. Man muss fairerweise zugeben, dass es in der P.O.U.M. sehr wenig Gewissenszwang gab, vielleicht nicht genug, wenn man sich der besonderen Umstände erinnert. Wenn nicht jemand gerade profaschistisch war, wurde er nicht zur Rechenschaft gezogen, falls er die falschen politischen Ansichten hatte. Ich verbrachte einen Teil meiner Zeit in der Miliz damit, die Ansichten der P.O.U.M. heftig zu kritisieren, aber ich hatte deshalb niemals Schwierigkeiten. Man übte nicht einmal einen Druck auf jemand aus, politisches Mitglied der Partei zu werden, obwohl ich glaube, dass die Mehrheit der Milizsoldaten ihr beitrat. Ich selbst wurde nie Mitglied der Partei, was ich hinterher, als die P.O.U.M. unterdrückt wurde, sehr bedauerte.