Wie wollen wir als feministische Sozialistinnen Frauen*räume organisieren – und wie nicht?

Folgender Artikel basiert auf einem Thesenpapier, das Frauen der Falken Thüringen für das diesjährige Frauen*-Theorie-Seminar verfasst haben. 

Bild: Wikimedia Commons

Für sozialistische Feministinnen wie uns ist es eine bittere Erkenntnis, dass das hierarchische Geschlechterverhältnis nicht vor unseren Organisationen halt macht. Nicht nur müssen wir kontinuierlich dafür Sorge tragen, dass bestimmte Themen nicht unter den Tisch fallen; auch werden politische Räume wie z.B. das Plenum oder die Verbandskonferenz systematisch zu Männer-Räumen. Immer wieder haben wir es in unseren politischen Zusammenhängen außerdem mit Sexismus und Männerbündelei zu tun. 

Um diese Probleme anzugehen, wurden und werden immer wieder Frauen*räume aus sozialistischen Organisationen heraus gegründet. Die separate Organisation von Frauen* bietet dabei viele Potenziale. Deren Verwirklichung ist jedoch abhängig von der Ausgestaltung dieser Räume. 

Frauen*räume als Safe Spaces 

Aktuell gibt es den Trend, alle Frauen*räume als Safe Spaces (dt. Schutzräume) zu deklarieren. In diesen sollen Frauen* sich aufhalten und wohlfühlen können, ohne mit den Ohnmachtserfahrungen und Ängsten des sexistischen Alltags konfrontiert zu werden. 

Dabei werden Frauen* jedoch häufig auf eine Weise angesprochen, welche die Ohnmacht eher verabsolutiert als sie zu brechen. Das liegt daran, dass Frauen* hier primär als verletzliche Betroffene gefasst werden, die vor jeglicher Konfrontation zu bewahren sind. 

Als besonders beklemmend und kräftezehrend erleben wir dabei, dass in Safe Spaces jedes potenzielle Unwohlsein möglichst erahnt und proaktiv vermieden werden soll – Achtsamkeit und Selbstregulation sind angesagt. Damit bestimmt Sorge-Arbeit für andere, die klassisch weibliche Tätigkeit im Patriarchat, das Geschehen. 

Auf geäußerte Gefühle oder auf mit Gefühlen unterlegte Einschätzungen ist in diesen Räumen mit absoluter Akzeptanz zu reagieren, um niemanden zu verletzen. Insgesamt ist von dem eigenen Leiden her zu argumentieren, möchte man seinen eigenen Aussagen Legitimität verleihen. Entsprechend kann Kritik nicht über die Erörterung des Wahrheitsgehalts einer Aussage, sondern nur über eigene Befindlichkeit geäußert werden. 

Derart ohnmächtig und fragil will jedoch Keine auf Dauer sein. Und so ist es kein Wunder, dass die ständige Betonung der eigenen Verletzlichkeit immer wieder von autoritären Machtansprüchen begleitet ist. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich andere Menschen unwidersprochen nach den eigenen Bedürfnissen zu richten hätten. Anstatt sich der Diskussion zu stellen, verlangt man unbedingten Gehorsam gegenüber den aufgestellten Verboten und Regeln. Gerade der Fokus auf Betroffenheit, der Zweifel und Gegenrede moralisch unterbindet, macht es dann möglich Allmachtsfantasien auszuleben – auch gegen die eigenen Genoss*innen. Wir wollen aber kein blindes Befolgen von Regeln und Verboten, sondern ein Handeln auf Grundlage von Einsicht und Empathie. Das bedeutet, dass wir an uns den Anspruch stellen müssen, unser Anliegen erklären zu können, mit dem Ziel, dass unser Gegenüber (so sie*er dazu bereit ist) uns verstehen kann. 

Anstatt uns jedoch gegenseitig beizubringen, unsere Bedürfnisse zu verlautbaren und für sie einzustehen, eine Sprache für unsere Erfahrungen zu finden, um sie nachvollziehbar zu machen, und uns in Konflikte mit unserer Umwelt zu begeben, zementieren die Verhaltensweisen in Safe Spaces vielmehr den schlechten Status Quo – frau* möchte so bleiben wie sie ist und schafft sich dafür den geeigneten Rückzugsraum. Damit werden aber patriarchale Zustände nicht gebrochen, sondern stabilisiert. 

Frauen*räume als Orte der Stärkung 

Dagegen halten wir das Prinzip eines Frauen*raums, der vor allem eins bietet: Raum für politische Auseinandersetzung und für die Stärkung von Frauen*.1 Dies geschieht auf Grundlage folgender Elemente: 

1. Die Erfahrung, ohne männliche Genossen etwas reißen zu können, das Treffen auf weibliche Vorbilder und das Erleben bedeutungsvoller Beziehungen unter Frauen* stellen die gesellschaftliche Vormachtstellung des Mannes in Frage und dekonstruieren sie als irrationales Herrschaftsverhältnis. 

2. Abseits von Selbstherrlichkeit, Konkurrenz und Imponiergehabe vieler Männer in gemischtgeschlechtlichen Räumen können wir in Frauen*räumen politische Beziehungen zueinander sowie eigene Positionen entwickeln. Letztere lassen sich jedoch nicht einfach aus dem Frau-Sein ableiten, sondern erfordern eine gemeinsame Debatte. 

3. Zwar bietet der Austausch von Erfahrungen grundsätzlich die Möglichkeit zu erkennen, dass wir mit vielen Problemen nicht alleine sind, doch um unsere Lage dauerhaft verändern zu können, müssen wir analysieren, wie es zu diesen Erfahrungen kommt und was das Allgemeine, Gesellschaftliche und damit Menschengemachte an ihnen ist. 

4. Das beinhaltet, in einem (immer wieder schmerzhaften) Prozess die eigene weibliche Sozialisation zu reflektieren und zu denunzieren2.  Eng mit weiblicher Vergeschlechtlichung in Zusammenhang stehende Eigenschaften wie Selbstabwertung und Selbstaufopferung sind in ihren Folgen für das Leben von Frauen* als Zurichtung zu kritisieren. Indem wir unsere eigene Verstrickung in das patriarchale Geschlechterverhältnis erkennen, eröffnet sich uns die Chance, dem Patriarchat unseren Dienst zu versagen. 

5. Auch wenn ein Rückzug aus männerdominierten Kontexten kurzfristig Befriedigung schafft, müssen wir, wenn wir die Gesellschaft (gemeinsam mit unseren Genossen) umgestalten wollen, in diese und in gemischtgeschlechtliche politische Organisierungen hineinwirken, um uns Gehör zu verschaffen. Konfliktfähigkeit, Durchsetzungsvermögen und inhaltliches Wissen sind dafür elementar. Diese Kompetenzen können in Frauen*räumen erlangt werden. 

Fazit 

Die schlechte Alternative, sich in dieser Gesellschaft entweder gemäß unserer weiblichen Sozialisation zu verhalten oder wie Männer zu werden, müssen wir als solche entlarven. Weder wollen wir Frauen* unsere politischen Differenzen untereinander zugunsten eines weiblichen Harmoniebedürfnisses unter den Teppich kehren, noch wollen wir unsere Interessen durch Autorität, Dominanz, Rücksichtslosigkeit und Härte gegeneinander oder gegen unsere männlichen Genossen durchsetzen. Weder wollen wir Empathie und Fürsorge als Schwäche abwerten, noch wollen wir Aufopferung und Selbstentsagung als weibliche Tugenden verklären. 

Als Verfechterinnen der Emanzipation von Frauen* müssen wir diejenige feministische Praxis radikal kritisieren, die die Ohnmacht verstärkt und handlungsunfähig macht. Wir wollen keine Kultivierung der Verletzlichkeit, keinen Rückzug in stille Leidensgemeinschaften – wir wollen eine streitbare, lustvolle, unabhängige feministische Bewegung. 

LV Thüringen

  1. Natürlich nehmen wir davon dringend nötige Schutzräume wie Frauenhäuser und andere Räume aus, in denen Opfer von patriarchaler Gewalt aufgefangen werden müssen.
  2. Denunzieren heißt öffentlich verurteilen.