Ein Carepaket für Alle

Bild: Gigi Ibrahim

Warum die unbezahlte Arbeit von Frauen der Mörtel ist, der das kapitalistische Bauwerk vor dem Einsturz bewahrt

Um uns eine Wohnung, genug zu Essen, Kleidung, einen Internetzugang und gewisse Annehmlichkeiten leisten zu können, müssen wir in dem Wirtschaftssystem, in dem wir momentan leben, einer Lohnarbeit nachgehen. Das heißt in der Regel, wir werden dafür entlohnt, dass wir unsere körperliche oder geistige Arbeitskraft für eine gewisse Zeit zur Verfügung stellen. Dabei werden Dinge produziert, die sich zu Geld machen lassen, von dem wir in der Regel aber nichts abbekommen. Wer schon eine eigene Wohnung hat weiß, dass die Arbeit nach Feierabend aber noch nicht beendet ist. Hausarbeit muss erledigt, Essen gekocht, die Post angeguckt werden. Das fühlt sich nach einem langen Tag im Büro oder in der Werkstatt auch nochmal wie Arbeit an und es ist auch Arbeit: Reproduktionsarbeit. Was das genau bedeutet, wird später noch erläutert.

Die fröhliche heteronormative Familie lebt von der weiblichen Aufopferungsbereitschaft

Wer in einer WG wohnt weiß, dass mit mehr Menschen in einem Haushalt auch mehr Arbeit entsteht. Noch deutlicher wird das, wenn Kinder in dem Haushalt leben. Sie können nämlich (im Gegensatz zu Mitbewohnerinnen, die durchaus könnten, aber nicht immer wollen) nicht mit anpacken, sondern machen noch mehr Arbeit. Am Anfang müssen sie gewickelt und gefüttert werden, später muss jemand zum Elternsprechtag mit ihnen, die Hausaufgaben kontrollieren oder sie davon überzeugen, dass sich der Pikser beim Impfen langfristig gesehen lohnt. Natürlich muss niemand Kinder bekommen, aber man wünscht sich ja schon, dass einen später im Altersheim mal jemand besuchen kommt und vor allem nützt es der Gesellschaft etwas: Sie sollen als Erwachsene die Rente für die Alten zahlen. Das nennt sich Generationenvertrag: Jeder derdie arbeitet, zahlt in die Rentenkasse und das Geld verschimmelt nicht jahrzehntelang auf dem Konto, sondern wird den Rentnerinnen gegeben, die ihr Arbeitsleben bereits hinter sich haben. Deswegen freut sich der Staat, wenn die Leute Kinder kriegen und gibt ihnen Kindergeld zur Motivation. Dieses Geld reicht allerdings bei Weitem nicht aus, um die Arbeit zu bezahlen, die Kinder machen. So ist es ja auch gar nicht gedacht. Man muss also weiterhin der Lohnarbeit nachgehen.

Rollenverteilung wie in den 60ern? Leider ja.

Früher folgte aus all dem eine klare Rollenverteilung: Männer und Frauen sollten heiraten. Sobald Kinder kommen, sollte die Frau sich darum kümmern und den Haushalt schmeißen. Der Mann verdiente genug, um alle über die Runden zu bringen. Seitdem ist viel passiert. Zum einen hat die Frauenbewegung stattgefunden und wollte Frauen unabhängiger von Männern machen, sie erkämpfte also, dass Frauen arbeiten dürfen, ohne um Erlaubnis fragen zu müssen. Zum anderen wurden Frauen als Wirtschaftsfaktor wiederentdeckt, man konnte mehr Menschen Dinge produzieren lassen und praktischerweise musste man Frauen weniger dafür bezahlen. Und zuletzt können viele Familien von einem Gehalt heute auch gar nicht mehr überleben, also müssen zwei Menschen pro Haushalt lohnarbeiten gehen. Was sich nicht verändert hat, ist, dass Frauen noch immer den Löwenanteil der unbezahlten Reproduktionsarbeit machen. Diese Arbeit wird oft auch Care-Arbeit genannt, denn sie umfasst noch viel mehr unbezahlte Tätigkeiten als Putzen und Kochen, die erledigt werden müssen, damit wir uns auf die Lohnarbeit konzentrieren können. Dazu gehört Arbeit, die die Stimmung aufrechterhält und die manchmal auf den ersten Blick vielleicht gar nicht als Arbeit erkennbar ist, wie das Vorbereiten einer Geburtstagsparty, das Telefonat mit den Eltern und Schwiegereltern oder das sonntägliche Zugucken beim Fußballspiel der Kleinen. Wenn dann auch noch pflegebedürftige Angehörige ins Spiel kommen, wird die Angelegenheit richtig haarig. Studien zufolge, wird diese Arbeit zu 90% von Frauen übernommen, 1/3 dieser Frauen sind weiterhin berufstätig. Und weil all das Windeln wechseln, Geschenke verpacken, trösten, putzen, waschen, zum Tierarzt oder zum Amt gehen, kochen, singen, pflegen und liebhaben so viel Zeit kostet, fangen viele der betroffenen Frauen an, lieber in Teilzeit zu arbeiten, um das überhaupt alles zu schaffen. Das kommt dem Staat sehr gelegen. Er muss, verkürzt gesagt, all diese Arbeit, die die Frauen tun, nämlich nicht bezahlen und sich auch nicht groß Gedanken darum machen, wie sie organisiert werden kann. In Haushalten, in denen genug Kohle da ist, gibt es dann noch einen weiteren Tritt nach unten: Für die Care-Arbeit werden Au-pair-Mädchen, Putzfrauen, Pflegerinnen angestellt: Größtenteils Frauen. Schlecht bezahlte Frauen, viele von ihnen mit Migrationshintergrund.

Frauen organisieren die Party, Männer lassen sich feiern

Interessant ist auch, gerade für uns Falken, dass sich diese Struktur auch im Ehrenamt widerspiegelt. Ehrenämter im Sorgebereich, in der Selbsthilfe, Familienhilfe, kirchliche und soziale Ämter werden je nach Bereich mehrheitlich oder fast annähernd vollständig von Frauen übernommen, während Ehrenämter, die mit gesellschaftlich höherer Anerkennung verbunden sind, wie Schöffenarbeit oder Leitungsfunktionen in Verbänden, tendenziell eher Männern zukommen. Für all die Behauptungen, die hier aufgestellt werden, gibt es übrigens zahlreiche Belege: Freiwilligensurvey, Pflegereport, Böckler-Studie. Googeln könnt ihr sicher selbst.

Bleibt die Frage: Warum tun Frauen das eigentlich? Sind sie irgendwie dumm oder so? Ihr wisst dass die Antwort lautet: Absolutely not. Es ist eine perfide Mischung aus gesellschaftlicher Struktur und Sozialisation. Neben dem ewigen Kreislauf der schlechteren Bezahlung von Lohnarbeit („Einer von uns beiden musste zu Hause bleiben und mein Mann verdient einfach besser als ich“) wird das „Kümmern“ Menschen, die nach der Geburt als Frauen eingeordnet werden, anerzogen. Das fängt mit der Puppenmutti an, läuft aber auch wesentlich subtiler ab. Frauen spüren also einen größeren Druck, soziale Verantwortung zu übernehmen für Hilfsbedürftige, aber besonders für Menschen, die sie lieben, wie Familie und Freund*innen. Kommen sie dieser Rolle nicht nach, erfolgen enorme gesellschaftliche Sanktionen, bis hin zur Aberkennung der Weiblichkeit.

Natürlich gehört all dieser Mist zum Kapitalismus wie das Amen in die Kirche und deswegen ist er zu überwinden. Trotzdem gibt es Dinge, die zur Verbesserung beitragen könnten. Neben der Reflektion der eigenen Verwobenheit in die heteronormativen, sexistischen Machtstrukturen sind das natürlich politische Reformen. Pflegereform, flächendeckender Ausbau der Kinderbetreuung, Rückkehr aus der Teilzeit, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Steuerprivilegien für alle Menschen, die zusammenleben, nicht nur für Ehepaare. Manche nennen das Care-Revolution.

Jana Herrmann, BZ WW und MFPK