Die AfD und die Soziale Frage – Interview mit Stefan Dietl

Du hast im Sommer 2017, kurz vor der Bundestagswahl im September, ein Buch rausgebracht mit dem Titel „AfD und die soziale Frage“. Warum genau dieses Thema? Kannst du vielleicht auch kurz erklären was die soziale Frage überhaupt ist?

Mir als Gewerkschaftler ist die Analyse der Wirtschafts- und Sozialpolitik der AfD bisher zu kurz gekommen. Die soziale Frage betrachte ich im Buch aus der Perspektive: “Was schreibt die AfD konkret in ihrer Programmatik zu verschiedenen wirtschafts- und sozialpolitischen Themen, wie zur Arbeitsmarktpolitik, zur Steuerpolitik, zur Bildungspolitik und was bedeuten eigentlich ihre Forderungen für abhängig Beschäftigte, aber auch für Niedriglohnbezieher*innen, für Leiharbeitnehmer*innen, und für „Leistungsbezieher“, wie die AfD immer sagt. Sich zum einen konkret an der Wirtschafts- und Sozialpolitik abzuarbeiten, zum anderen aber eben auch dem ideologischen Hintergrund aufzuspüren. Dabei vor allem sich das marktradikale Denken in der AfD anzuschauen, auf das sich erstere aufbaut.

“Zwischen Marktradikalismus und völkischem Antikapitalismus“ ist der Untertitel des Buches. Kannst du uns die Unterschiede dieser Strömungen erklären?

Unterschiede finden sich auf vielen Ebenen. Am deutlichsten sind sie wohl im Staatsbild. Die Marktradikalen stehen für einen neoliberalen Umbau des Staates und meinen, der Staat soll sich möglichst aus dem Marktgeschehen zurückhalten. Der Staat habe eigentlich nur die Aufgabe alles so einzurichten, dass die Unternehmen gut arbeiten können und sich aus allen anderen Fragen der Sozial- und Wirtschaftspolitik zurückzuhalten. Bei den völkischen Nationalisten*innen gibt es einen starken Staat, der auch gesellschaftlich und wirtschaftlich in den Markt eingreift. Der Widerspruch macht sich in der Praxis dann vor allem daran fest, dass die Marktradikalen den Rückzug aus sozialen Sicherungssystemen fordern, während die völkischen Nationalist*innen eher darauf setzen, die Menschen, die durch den Neoliberalismus in den letzten 30 Jahren abgehängt wurden, damit zu erreichen, dass sie nationale und soziale Themen miteinander kombinieren und eher für einen Staat eintreten der für „die kleinen Leute“ sein soll. Es gibt aber auch viele Gemeinsamkeiten, wie das Definieren von manchen Menschen als minderwertig.

Beim völkischen Flügel in der AfD erwähnst du immer wieder den Antikapitalismus von Rechts. Wie unterscheidet sich denn dieser von einem linken Antikapitalismus?

Dieser völkische Antikapitalismus, stellt eben nicht eine Analyse der kapitalistischen Produktionsweise in den Mittelpunkt, sieht auch nicht das Privateigentum an Produktionsmitteln als das Problem sondern dort geht’s immer um die unsittliche Verteilung von Kapital. Es geht immer um eine Gegenüberstellung von „guter, schaffender Arbeit“ die dann als deutsch bezeichnet wird und „raffendem Kapital“, dass vor allem in Bank- und Finanzkapital gesehen wird und oft als jüdisch konnotiert wird. Es geht also nicht um einen Antagonismus zweier Klassen von Lohnarbeit und Kapital, sondern im Gegenteil geht es um die Schaffung und Herstellung einer Volksgemeinschaft. Wie gesagt der Kapitalismus wird eben beim völkischen Antikapitalismus nicht analysiert als ein Gesellschaftssystem, das historisch gewachsen ist und deswegen auch historisch veränderbar ist, sondern als etwas Natürliches angesehen. Es geht vor allem darum, für die Auswüchse der kapitalistischen Produktionsweise Verantwortliche auszumachen.

Würdest du sagen, dass dieses „Schuldige finden“, die Strömungen innerhalb der AfD wieder vereint?

Das ist etwas, was die Strömungen zusammenführt, vor allem dann, wenn es darum geht wer denn der*die „Schuldige“ sein soll. Was da neben Rassismus auch eine große Rolle spielt, ist die Ablehnung der 68er Bewegung. Dieser Hass auf alles linke, irgendwie fortschrittlich Gedachte. Es wird über alles hergezogen was sich gesellschaftlich seit der Nachkriegszeit verändert hat, zum Beispiel in Fragen der Sexualität. Da werden dann oftmals die Schuldigen verortet.

Du sprichst generell Gewerkschaften eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Rechtsruck zu, hast aber auch viel Kritik an der gewerkschaftlichen Arbeit. Was sind da so deine Hauptkritikpunkte?

Ich kritisiere die starke sozialpartnerschaftliche Ausrichtung der Gewerkschaften, also dass man nicht so arg auf kämpferische Auseinandersetzung in gesellschaftlichen Konflikten oder in Tarifkonflikten setzt. Sondern eher auf so eine Politik des runden Tisches. Was dann eben auch verbunden ist mit einer engen Anbindung an staatliche Institutionen und Strukturen. Auch den starken Standortnationalismus und Staatskooperatismus halte ich für falsch. Das sind halt Anknüpfungspunkte genau für solche Parteien wie die AfD. Und das in zweierlei Hinsicht. Zum einen ganz konkret, wo sie zum Beispiel beim Standortnationalismus nationalistisch gesinnte Leute ansprechen können. Und zum zweiten auch, dass gewerkschaftliche Politik in den letzten Jahren nicht mehr so aufging. Wenn man sich eben dieses neoliberale Deregulieren am Arbeitsmarkt, den Sozialabbau und so weiter anschaut, ist es den Gewerkschaften nicht gelungen, dem etwas entgegenzusetzen. Da können dann AfD und Co. an den sozialen Abstiegsängsten anknüpfen. Der AfD gelingt es eben sehr gut, sich als Partei, die sich gegen das Establishment richtet, darzustellen, obwohl sie das komplette Gegenteil davon ist.

Stefan Dietl ist seit seiner Ausbildung ehrenamtlich bei ver.di aktiv u.a. zur Zeit stv. Vorsitzender des Bezirks Oberpfalz. Er ist Mitglied bei den Falken.

Das Interview führten Marie und Nico von den Falken Nürnberg.